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Russland will Sicherheit

17. Juli 2009

Russland will bei der internationalen Sicherheitspolitik stärker die eigenen Interessen berücksichtigt sehen. Darüber sprach DW-World.de mit dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.

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Wolfgang Ischinger bei Kosovo-Gesprächen in Wien am 30.08.2007 (Foto: AP)
Wolfgang IschingerBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Ischinger, seit einem Jahr versucht Russland, also Präsident Dmitri Medwedew, die Idee eines neuen Sicherheitskonzepts voranzutreiben. Der Westen zögert, warum?

Wolfgang Ischinger: Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass der Westen wirklich zögert. Es hat in der ersten Zeit nach der Präsentation dieser Überlegung durch Präsident Medwedew etwas gedauert, bis man verstanden hat, was der Kern des Anliegens ist. Aber ich glaube, es ist gerade jetzt in den vergangenen Wochen und Monaten ein konkreter Prozess in Gang gekommen in der OSZE. Man hat in der EU intensiv diskutiert. Es kommen jetzt auch verschiedene Prozesse zwischen Russland und der NATO wieder in Gang. Ich denke, man kann jetzt sagen, dass diese Überlegungen Gegenstand eines strukturierten Dialogprozesses zwischen Russland und den westlichen Organisationen und Institutionen geworden ist. Und das ist aus meiner Sicht sehr gut so, denn ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese russischen Sorgen ernst nehmen.

Wie wird der Kern dieser Aussage, dieses Konzepts, im Westen verstanden?

Ich bin nicht der Sprecher des russischen Präsidenten und ich maße mir nicht an, seine Thesen wiederzugeben. Aber ich verstehe den Kern des russischen Anliegens, dass Russland zu der Überzeugung gekommen ist, dass die Art und Weise, wie die Absprachen aus den Neunziger Jahren - Charta von Paris, NATO-Russland-Grundakte von 1997 -, dass die Praktizierung dieser Absprachen heute so verläuft, dass sie sich zwar zum Vorteil der USA, des Westens, der NATO auswirken, aber eher zum Nachteil russischer Interessen. Russland hat den Eindruck, dass die Strukturen des sicherheitspolitischen Verhältnisses nicht gewährleisten, dass wichtige russische Interessen hinreichend gewahrt sind. Das verstehe ich, ich bin allerdings auch der Meinung, dass Russland selbst noch eine ganze Menge mehr beitragen kann als es in der Vergangenheit schon geleistet hat, um hier zu einem besseren Miteinander zu kommen.

Dialog intensivieren

US-Präsident Obama zu Gesprächen beim russischen Präsidenten Medwedew (Foto: AP)
US-Präsident Obama zu Gesprächen beim russischen Präsidenten MedwedewBild: AP

Russland will eine quasi parallele Sicherheit schaffen zu NATO oder OSZE. Ist denn so eine parallele Struktur möglich?

Möglich ist vieles. Die Frage ist: Was ist sinnvoll und was bringt uns weiter? Ich glaube, es ist besser, wenn wir von einer Weiterentwicklung der Strukturen reden, als wenn wir von einer parallelen oder anderen Struktur sprechen. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren in der europäischen Sicherheitsarchitektur ja viel erreicht. Wir haben die Charta von Paris aus dem Jahre 1990, im nächsten Jahr ist sie 20 Jahre alt. Sie wird leider kaum mehr zur Kenntnis genommen. Da stehen sehr viele richtige Sätze drin, die auch heute noch Geltung beanspruchen könnnen. Wir haben die NATO-Russland-Grundakte von 1997, wir haben den NATO-Russland-Rat, wir arbeiten zurzeit an einer Neuformulierung des Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation. Wir sind dabei, in der OSZE gemeinsam darüber nachzudenken, wie man die Dinge weiterentwickeln kann. Ich plädiere für Weiterentwicklung, und ich persönlich bin auch sehr offen für die Frage, ob im Ergebnis eines solchen intensiven Dialogs ein neues grundsätzliches Dokument stehen könnte. Ob das allerdings ein Vertrag sein sollte, wie manche vor allem auf russischer Seite sagen, oder ob es nicht besser ein Dokument sein sollte so ähnlich wie die Schlussakte von Helsinki oder die Charta von Paris, das ist auch eine wichtige Frage. Denn wissen Sie: Verträge, dass wissen wir in der Europäischen Union inzwischen sehr gut, müssen von Parlamenten ratifiziert werden, und das kann lange dauern, manchmal ist es sehr schwierig. Hier stellen sich auch taktische Fragen, nicht nur bedeutsame inhaltliche Fragen.

Wirtschaftskrise als Chance

Ist denn die Wirtschaftskrise vielleicht eine Chance, dass dieser Prozess vorangetrieben wird, damit sie schneller zum Schluss kommt. Die Wirtschaftskrise kann man ja auch als Sicherheitsrisiko verstehen.

Ich hoffe sehr, dass sie recht haben mit dieser Frage. Es gibt zwei Möglichkeiten: Dass die Staaten in ihrer zum Teil sehr schwierigen, manchmal verzweifelten wirtschaftlichen und finanziellen Lage den Fehler machen, das Heil in Protektionismus, in Abschottung zu suchen. Das wäre ein historischer Fehler und würde in eine weitere Verschlechterung der Lage führen. Die bessere Perspektive wäre es angesichts der Schwierigkeiten, die uns alle belasten, die Kräfte besser zu bündeln und sich darauf zu verständigen, dass wir alle mehr Prosperität haben werden - wir in der EU, die Russen, und auch andere Partner -, wenn wir Handelschranken beseitigen, wenn Russland endlich in die WTO eintritt, wenn wir arbeiten an einem wirklich umfassenden EU-Russland-Abkommen, was den Russen nützt, was aber auch uns etwas nützt, beispielsweise auch im Bereich der Energie-Sicherheit. Ich denke also, die Krise bietet eine große Chance. Wissen Sie, das Wort Krise kommt ja aus dem Griechischen. Und im Griechischen, in der Medizin, bedeutet Krise den Moment, wenn das Fieber bricht und wenn sodann der Heilungsprozess anfängt. Und wenn man also diese Krise richtig definiert, dann können wir daraus einen Impuls ableiten für eine engere Zusammenarbeit nicht nur in globalen Strukturen, sondern gerade auch in Europa. Ich hoffe, dass das unsere gemeinsame Entschlossenheit sein wird zwischen Europäern, Russen und anderen Partnern.

Das Interview führte Andreas Brenner
Redaktion: Ursula Kissel