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Krise tut gut

16. Juli 2009

Der Petersburger Dialog in München hat gezeigt, dass die Finanzkrise die deutsch-russischen Beziehungen verbessert. Das ist eine sehr gute Entwicklung, meint Ingo Mannteufel - und sieht nur einen Makel.

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Bild: DW

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise verändert die Welt. Diese Aussage ist nicht neu. Doch es ist immer wieder überraschend, welche außerordentlichen Auswirkungen die Krise hat und welche Bereiche sie erfasst. Ein interessantes Beispiel dafür sind die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Denn bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und noch viel mehr beim Forum der deutsch-russischen Zivilgesellschaften - dem 9. Petersburger Dialog - war ein deutlicher Wandel zu spüren.

Große Unterschiede

Ingo Mannteufel (Foto: DW)
Ingo Mannteufel

Der vorherige 8. Petersburger Dialog Anfang Oktober 2008 - wenige Tage vor der Pleite der Lehman-Bank - stand ganz im Zeichen des russisch-georgischen Krieges vom August 2008 und den erheblichen Differenzen zwischen Russland und der Europäischen Union. Das Unverständnis über den jeweils anderen war auf beiden Seiten groß. Die Stimmung war misstrauisch und kühl.

Ganz anders nun die Situation beim Petersburger Dialog in München im Juli 2009. Im Versuch, gemeinsam Auswege aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zu finden, haben sich die deutsch-russischen Beziehungen verbessert. Zwar werden die immer noch bestehenden Differenzen und unterschiedlichen Auffassungen in einigen Fragen nicht geleugnet. Zugleich wird aber von beiden Seiten verstanden, dass die aktuelle Krise nur gemeinsam gelöst werden kann. Und das zeigt sich an den großen wirtschaftlichen Projekten, aber auch an Kooperationen in anderen Feldern wie gemeinsam erstellten Geschichtsmaterialien, Journalistentagen oder einer diskutierten deutsch-russischen Filmakademie.

Selbstkritik, Demut und Pragmatismus

Sowohl bei den deutschen als auch den russischen Teilnehmern war eine selbstkritische und fast von Demut geprägte Haltung festzustellen: Die Finanzkrise als Krise des kapitalistischen Systems und die verstärkte Rolle des Staates als Retter der Großbanken haben die manchmal anzutreffende Selbstgerechtigkeit der deutschen Seite über das eigene System von Marktwirtschaft und Demokratie erschüttert. Wer mit riesigen Konjunkturprogrammen Privatbanken rettet und den Einfluss des Staates in bislang unbekannter Weise erhöht, kann nicht mehr überzeugend anderen Regierungen deren staatliche Eingriffe in die Wirtschaft vorhalten.

Und in ähnlicher Weise hat die russische Seite in den letzten Monaten feststellen müssen, dass sie ihr Land nicht in Konfrontation zu anderen Staaten modernisieren kann. Der früher oft anzutreffende russische Energiesupermacht-Chauvinismus ist einem nüchternen und normalen Pragmatismus gewichen, der nach konkreten und gemeinsamen Lösungsansätzen sucht.

Es klingt paradox, doch obwohl die Finanzkrise in vielen Bereichen eine Vertrauenskrise ausgelöst hat, scheint in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland das gegenseitige Vertrauen zu wachsen.

Medwedews rhetorischer Unterschied zu Putin

Deutlichster Ausdruck für diese neue Zeit ist vermutlich Russlands Präsident Medwedew. Die vielen internationalen Treffen haben ihn deutlich sicherer auf dem Parkett der Weltpolitik gemacht und er redet, wie man es sich von einem russischen Präsidenten eigentlich wünscht, beispielsweise bei seiner klaren Verurteilung des Mordes an der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa und seinem Plädoyer für die wichtige Rolle der Menschenrechtler, die unter besonderem Schutz des Staates zu stehen hätten. Deutlicher konnte der Kontrast zu seinem Vorgänger nicht sein: Wladimir Putin hatte sich ganz anders über den Mord an Anna Politkowskaja geäußert, als er wenige Tage nach der Tat zu den Teilnehmern des Petersburger Dialogs in Dresden 2006 sprach.

Auf dem Weg zu ganz normalen guten Beziehungen?

Ist jetzt mit Präsident Medwedew und mit den vielen Kooperationsprojekten alles gut in den deutsch-russischen Beziehungen? Nicht ganz, leider. Präsident Medwedew hat zwar seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr viel Gutes gesagt und auch einige kleinere Schritte in die richtige Richtung gemacht, doch langsam müssen seinen Worten deutlichere Taten folgen. Die Mörder von Menschenrechtsaktivisten und kritischen Journalisten müssen gefunden und nach rechtsstaatlichen Prinzipien verurteilt werden. Oder besser noch: Die mutigen Menschenrechtler erhalten die Unterstützung und den Schutz, den sie laut Präsident Medwedew verdienen. Das wäre nicht nur gut für Russland, sondern würde der deutsch-russischen Partnerschaft zum endgültigen Durchbruch verhelfen.

Autor: Ingo Mannteufel

Redaktion: Thomas Grimmer

Ingo Mannteufel ist Leiter der Russischen Redaktion der Deutschen Welle und nimmt seit 2006 als Mitglied der Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt am Petersburger Dialog teil.