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Messner: "Ich will nicht in den Bergen umkommen"

Stefan Nestler17. September 2014

An diesem Mittwoch wurde Bergsteiger-Legende Reinhold Messner 70 Jahre alt. Im DW-Interview spricht er über seine Pläne, das Bergsteigen auf höchste Gipfel und darüber, wie weit nach oben er selbst noch steigt.

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Reinhold Messner
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane hat einmal gesagt: "Mit 70 'ne Jubiläumsfeier, Artikel im Brockhaus und im Meyer." Punkt zwei ist abgearbeitet, im Lexikon stehen Sie ja schon. Wie sieht es mit der Jubiläumsfeier aus?

Reinhold Messner: Ich mache eine ganz private Geburtstagsfeier, die in keiner Weise öffentlich sein soll. Es gibt einen Termin und einen Ort. Ich kann erzählen, dass ich zu einem Biwak geladen habe. Ein letztes Mal traue ich mich mit 70 noch einmal, nach der Feier im Freien, unter den Sternen, im Schlafsack zu übernachten. Die meisten meiner Freunde machen das auch mit, die anderen fahren ins Hotel im Tal.

70 Jahre, ein runder Geburtstag. Sind Sie wunschlos glücklich?

Wir tragen das Glück nicht in uns, sondern es passiert in uns und mit uns. Ich habe es heute leichter, weil ich nichts mehr zu beweisen habe. Ich habe es auch nicht mehr eilig. Aber ich bin immer noch aktiv. Ich bin in der phantastischen Lage, dass meine Knie noch funktionieren und alle Gelenke in Ordnung sind. Obwohl ich natürlich einige Einbußen hatte - ein zerborstenes Fersenbein, ein paar Zehen verloren -, geht es mir dem Alter entsprechend noch relativ gut. Und ich habe viele Ideen, um die nächsten Jahre auszufüllen, ein gelingendes Dasein zu führen und damit auch glücklich zu sein.

Gibt es den Reinhold Messner, der in seinem Schloss Juval bei einem leckeren Glas Rotwein einfach in der Sonne sitzt und tagträumt?

Das gibt es schon, etwa am Abend mit meiner Frau und meinen Kindern, aber nicht als Gewohnheit. Ich bin jemand, der tätig ist, der Ideen entwickelt und darin auch aufgeht. Das ist vielleicht sogar eines meiner größten Erfolgsmodelle, dass ich eine Idee so verinnerliche, dass sie im Tag- und Nachttraum langsam wächst, bis sie gereift ist. Eine Idee im Kopf ist jedoch noch kein Abenteuer, sondern nur ein Luftschloss. Aber wenn sie dann umgesetzt wird und Realität wird, entsteht das, was ich den Flow-Zustand nenne. Dann bin ich ganz bei mir selbst, wie schwebend, alles fließt. Und das macht mich glücklich.

Welches Ziel würden Sie denn aus ihren vielen Ideen für das nächste Lebensjahrzehnt herausgreifen?

Ich werde in den nächsten Jahren auf jeden Fall weiter mein Bergmuseum beaufsichtigen und dafür sorgen, dass es nicht untergeht. Das soll eine nachhaltige Geschichte bleiben. Auch meine Bauernhöfe liegen mir am Herzen. Und ich würde mich gerne als Filmemacher probieren - in der Art eines Autorenfilmers, der eine Idee im Kopf hat, hinausgeht in eine wilde Welt und Bilder sammelt, um am Ende auf der Leinwand eine starke Geschichte zu erzählen.

Der Spanier Carlos Soria turnt derzeit wieder im Himalaya herum. Er will die Shishapangma besteigen, es wäre sein 12. von 14 Achttausendern. Der Mann ist 75. Sind Sie froh, dass Sie das schon mit Anfang 40 abgearbeitet hatten?

Ich bin vor allem froh, dass ich das erledigen konnte, als an diesen Bergen noch niemand anderer unterwegs war. Es gab damals nur ein Permit [Besteigungsgenehmigung] für je eine Expedition und jedes Grüppchen, ob allein, zu zweit oder zu fünft, hat sich in Eigenregie hoch gearbeitet. Ich halte es für das Glück der frühen Geburt, dass wir noch archaische Berge erleben durften. Am Matterhorn versuchen sich 20.000 Leute im Jahr, am Mont Blanc ist es noch schlimmer. Die Berge sind präpariert für Massenaufstiege.

Bergsteiger am Gipfel des Mount Everest. Foto: Norbu Sherpa
Viel los am Gipfel des Mount EverestBild: Norbu Sherpa

In diesem Frühjahr haben 500 Sherpas den Mount Everest präpariert, mit einer Art Klettersteig, auf dass dann Tausende von Klienten, die viel Geld dafür bezahlen, auf diesen Berg gebracht werden können. Es passierte dann ein Unfall, 16 Sherpas sind in einer Lawine gestorben. Man muss das als "Straßenbau-Unfall" sehen. Dann hat es Streiks gegeben, die Touristen sind abgezogen. Aber im nächsten Jahr werden sie wiederkommen. Ich wünsche allen Menschen die Möglichkeit, dass sie diese großen Berge besteigen können, aber mit Alpinismus hat das wenig zu tun. Das ist Tourismus, zwar anstrengend und immer noch ein bisschen gefährlich, aber Eigenverantwortung und Eigenleistung werden mehr und mehr den Einheimischen überlassen. Es geht hier um Renommee und nicht um die Erfahrung der Menschennatur draußen in der Wildnis.

Wenn Sie einem jungen, abenteuerhungrigen Bergsteiger einen Rat geben sollten, welcher wäre das?

Die Jungen müssen ihren Weg selbst finden. Ich würde auch nicht antworten können, was ich täte, wenn ich jetzt 20 wäre. Aber ich sehe einige junge Bergsteiger wie die Österreicher Hansjörg Auer und David Lama oder den US-Amerikaner Alex Honnold, die traditionelle Bergsteiger sind und Großartiges leisten. Es gibt Zehntausende von Gipfeln auf der Erde, die nicht bestiegen sind, wo es Hunderttausende möglicher Routen für die nächsten Jahre gibt. Die jungen Leute haben gelernt, dass sie nicht mehr an die berühmten Berge gehen müssen. Das ist die erste Grundvoraussetzung, um großes Abenteuer zu erleben: dorthin zu gehen, wo die vielen anderen nicht sind, um überhaupt in Eigenregie und Eigenverantwortung handeln zu können.

Wie hoch können Sie selbst denn noch steigen?

Das habe ich nicht mehr ausgetestet. Aber ich den letzten Jahren war ich immer wieder auf 6000 und mehr Metern. Ich fühle mich dort sogar besser als in normalen Höhen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht setze ich mich sogar in den nächsten zehn Jahren rein aus gesundheitlichen Gründen regelmäßig für ein halbes Jahr nach Nepal oder in den Himalaya ab. Es gibt den Fall eines sehr kranken Mannes - ich nenne den Namen nicht - der mit seiner Frau großartige Achttausender-Besteigungen gemacht hat. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben. Er ging in den Himalaya, um ein letztes Mal seine großen Berge zu sehen und vielleicht dort zu sterben. Er stieg auf einen Achttausender und kam gesund zurück. Dieses medizinische Wunder könnte die Forscher anregen, die Berge nicht nur als Spielfeld für Abenteurer anzusehen, sondern auch als Gesundbrunnen für kranke Menschen.

Ich werde sicherlich nicht mehr ohne Atemmaske auf den Everest steigen. Ich will nicht in meinen späten Jahren an den Bergen umkommen, nachdem ich 65 Jahre lang alles getan habe, um das Sterben am Berg zu vermeiden. Aber mit zwei Sauerstoffflaschen und zwei Sherpas, von denen einer vorne zieht und einer hinten schiebt, nochmals auf den Everest steigen? Das ist meine Sache nicht.

Der Südtiroler Reinhold Messner hat als Bergsteiger Geschichte geschrieben. Zwischen 1970 und 1986 bestieg er als erster Mensch alle 14 Achttausender, alle ohne Flaschensauerstoff. Heute lebt Messner in seiner Heimat Südtirol, schreibt Bücher und widmet sich seinen fünf Bergmuseen.

Das Interview führte Stefan Nestler.