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Kommentar: Spanische Verhältnisse

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
19. Mai 2016

Sechs Europäische Titel, sechs Mal gewinnen Spanier - während der letzten drei Jahre erlebt der europäische Vereinsfußball eine ungeheure spanische Dominanz. Die hat Gründe, meint DW-Sportredakteur Joscha Weber

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Schweiz Europa League Liverpool vs. Sevilla ()Foto: Reuters/M. Dalder)
Gewohntes Bild: Sevilla feiert - mal wieder - den Titel in der Europa LeagueBild: Reuters/M. Dalder

Mittlerweile können wir sie mitsingen, die Hymne des FC Sevilla. Als die Spieler des andalusischen Traditionsvereins im Nieselregen von Basel vor der Fankurve stehen und singen, stellen sich die Härchen auf den Unterarmen auf. Was für ein Lied: "Und deshalb bin ich heute gekommen, um dich zu sehen, ich werde ein Sevillista bleiben, bis ich sterbe." Der Refrain, den die Spieler nach dem gewonnen Europa-League-Finale voller Inbrunst schmettern und dabei lautstark und leidenschaftlich von ihren Anhängern unterstützt werden, geht unter die Haut.

Die "Hundertjahrfeierhymne" des FC Sevilla ertönt inzwischen in hübscher Regelmäßigkeit. Zum dritten Mal in Folge dürfen die Andalusier ihren Song zum Besten geben und den Titel in der Europa League feiern. Ein Rekord in der Geschichte des Wettbewerbs, der früher mal UEFA-Cup hieß. Und zugleich ein Zeichen dafür, dass die spanische Dominanz im europäischen Vereinsfußball ungebrochen ist. In anderen Worten: Sie erdrückt ihn geradezu.

Taktische Disziplin, Effizienz vor dem Tor - und etwas Glück

Aber woher kommt diese iberische Übermacht? Das 3:1 gegen Jürgen Klopps FC Liverpool zeigte einmal mehr, wie spanische Teams in den vergangenen Jahren Titel um Titel gewann. Mit taktischer Disziplin, Effizienz vor dem Tor und der nötigen Portion Glück, dass der Schiedsrichter nicht ein bis drei Handelfmeter gegen Sevilla pfiff, entschied der FC Sevilla auch dieses Finale für sich. In den entscheidenden Spielen sind die spanischen Teams in letzter Zeit in der Summe einen Tick besser als ihr Gegner. Darüber kann man als Nicht-Spanier fluchen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Dominanz durchaus verdient ist.

Joscha Weber (Foto: DW)
DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Spaniens Fußballer sind derzeit einfach besser"

Denn die spanischen Vereine haben sich ihre Vormachtstellung erarbeitet. Früher als andere Topclubs setzte zum Beispiel der FC Barcelona auf eine strategisch ausgelegte Jugendarbeit mit der schon legendären Talent-Schmiede La Masia. Doch nicht nur Barcelona und die notorisch mit Geld um sich werfenden Königlichen aus Madrid sind der Konkurrenz derzeit mindestens einen Schritt enteilt. Auch Atletico Madrid hat unter Trainer Diego Simeone ein Team geformt, das kompromisslos alles dem Erfolg unterordnet. Eine raue bis grenzwertige Gangart, immense Laufbereitschaft und Defensivdisziplin bis zum Umfallen - Atletico zieht alle Register. Das Ergebnis bekam kürzlich der große FC Bayern schmerzlich zu spüren.

Klagen hilft nicht

Dass das Champions-League-Finale am 28. Mai nun zur Madrider Stadtmeisterschaft wird, ist also kein Zufall. Alle, die sich über die "spanischen Verhältnisse" im europäischen Fußball beschweren, sei eins gesagt: Klagen hilft nicht. Analysieren, abschauen, besser machen. Dazu zählt zum Beispiel eine Liga mit echtem Wettbewerb. Anders als in Deutschland, wo die Bundesliga in Zeiten der Dominanz-Bayern, seit Jahren so genannte "spanische Verhältnisse" erlebt, sahen die spanischen Fußballfans in der Primera Division ein Herzschlagfinale zwischen Barcelona, Real und Atletico.

Der spanische Hegemon hätte vielleicht 2006 stürzen können, als eine unsichtbare schützende Hand aus Justiz und Sportpolitik den offenbar in illegale Machenschaften verstrickten spanischen Fußball vor einem Doping-Beben im Rahmen des Fuentes-Skandals bewahrte. So gesehen geraten manche Leistungen spanischer Teams in der letzten Dekade in ein Zwielicht. Doch weil ein Beweis für Doping im spanischen Fußball fehlt, bleibt es bei der simplen Feststellung: Spaniens Fußballer sind derzeit einfach besser - und dass nicht nur beim Singen.