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Politik

Berlin sollte sich schämen

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Ingo Mannteufel
4. April 2017

Noch ist vieles zum Anschlag in St. Petersburg unklar. Doch die Entscheidung, das Brandenburger Tor am Montagabend nicht in den russischen Farben anzustrahlen, ist moralisch und politisch falsch, meint Ingo Mannteufel.

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Brandenburger Tor bei Nacht
Bild: picture alliance/blickwinkel

Sicher ist bisher allein, dass bei der Explosion in der Metro im russischen St. Petersburg 14 Menschen starben und viele weitere schwer verletzt wurden. Ort des Anschlags und Art der Bombe entsprechen dem Muster islamistischen Terrors. In den russischen Medien kursieren auch verschiedene Namen und sogar Fotos potenzieller Täter, die ebenfalls auf einen islamistischen Hintergrund verweisen. Doch letztendlich ist am Tag nach dem Ereignis noch sehr vieles unklar.

Nach einem terroristischen Anschlag brauchen alle Sicherheitskräfte - auch die russischen - erst einmal Zeit, um belastbare Spuren zu ermitteln. Das sollte allen klar sein, die in unserer Echtzeit-Gesellschaft nach sofortigen Antworten, Meinungen und Hintergründen verlangen. Dass es in Russland und gegen Russen in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Anschläge gegeben hat - vor allem islamistische Terrorattacken - ist leider eine bedauerliche Tatsache. Dass Russland durch seine Politik in Syrien noch stärker ins Fadenkreuz des IS geraten ist, ist ebenfalls klar. Doch die aktuelle Tat in St. Petersburg ist deswegen noch lange nicht aufgeklärt. Voreilige politische Schlüsse sollten deswegen vermieden werden.

Richtige Rituale nach Terroranschlägen?

Doch dass die Öffentlichkeit den Sicherheitskräften und auch den Medien nur wenig Zeit für saubere Ermittlungen und faktenorientierte Berichterstattung gibt und nach schnellen Urteilen dürstet, gehört bedauerlicherweise zu den mittlerweile eingeübten Ritualen nach Terroranschlägen.

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Ingo Mannteufel leitet die Russische Redaktion der DW

Zur geradezu ritualisierten Symbolik gehört inzwischen auch, dass wenige Minuten nach einem Anschlag schon entsprechende Hashtags in den Sozialen Medien kursieren. Und viele Politiker sich beeilen, einen Tweet des Mitgefühls abzusetzen. Eingeübt hat sich auch die Praxis, nationale Wahrzeichen wie das Brandenburger Tor in Berlin in den Landesfarben des Ortes anzustrahlen, an dem ein Anschlag verübt wurde.

Es gibt gute Gründe, solche Gesten vorgeblichen Mitgefühls für oberflächliche und billige Symbolpolitik zu halten. Doch das Problem ist: Wenn man nun einmal damit angefangen hat, muss man eigentlich konsequent dabei bleiben. Denn alles andere sähe sonst aus wie eine Geringschätzung der Opfer: "Es waren ja nur…". Dass nun gestern das Brandenburger Tor in Berlin nicht in den russischen Farben angestrahlt wurde, ist vor diesem Hintergrund erstaunlich. Die Erklärung aus der Spitze der deutschen Hauptstadt, dass St. Petersburg keine Partnerstadt von Berlin sei, ist nicht stichhaltig - Orlando in Florida gehört ja auch nicht zu diesem Kreis. Und dennoch erstrahlte im Juni 2016 nach dem dortigen Anschlag auf ein vor allem von Homosexuellen besuchten Lokal das Brandenburger Tor in den Farben der Regenbogenfahne - dem Symbol der Schwulenbewegung.

Den russischen Opfern des Terrors  gebührt unser Mitgefühl und unsere Solidarität nicht weniger als den Opfern der islamistischen Anschläge von Orlando, Paris, Brüssel, London, Berlin, Nizza, Istanbul oder denen im Irak, Nigeria, Kenia oder Pakistan.

Russen sind Opfer von Terror und ihrer eigenen Führung

Die umstrittene russische Syrien-Politik ist erst recht kein Argument, den Opfern von St. Petersburg das Mitgefühl zu verweigern. Schließlich gibt  es für Terrorismus und Gewalt gegen Zivilisten nie eine Rechtfertigung. Und im Unterschied zu den Bürgern in westlichen Demokratien sind gerade die einfachen Russen nie in freien und demokratischen Wahlen gefragt worden, ob sie die Politik ihrer Staatsführung unterstützen. Sie sind also Opfer nicht nur von terroristischen Anschlägen, sondern als Untertanen auch noch einflusslos.

Seit der in den vergangenen Jahren entstandenen Krise zwischen dem Westen und Russland - aufgrund der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim und der aggressiven Politik im Donbass - beteuert der Westen, dass man die Politik des Kremls ablehne, aber das russische Volk als gleichberechtigten Teil Europas sehe. Wenn der Westen dies ernst meint und nicht als Heuchler in Russland dastehen möchte, dann ist er nicht nur moralisch, sondern auch politisch in der Pflicht, Solidarität mit den Opfern des Terrors in Russland zu zeigen. Dass gestern das Brandenburger Tor nicht in den russischen Farben erstrahlte, war daher falsch - ja, es ist sogar eine Schande.

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