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Gesellschaft

Karl Kardinal Lehmann - der Mann des Dialogs

11. März 2018

Er war das Kind eines Volksschullehrers und einer Buchhändlerin, geboren in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb. Er wurde einer der großen Kirchenmänner der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nun ist er 81-jährig gestorben.

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Deutschland Kardinal Karl Lehmann
Bild: picture-alliance/dpa/F.v. Erichsen

Karl Kardinal Lehmann steht - man sollte sonst zurückhaltend sein mit diesem Wort - für eine Ära der katholischen Kirche in Deutschland. Als Theologe, der in jungen Jahren in Rom das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) miterlebte, stand er in der Bundesrepublik für eine dialogbereite Kirche, offen für gesellschaftliche Anfragen und menschliche Nöte. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz gab er über 21 Jahre Impulse in gesellschaftlichen Grundfragen und suchte stets das ökumenische Gespräch. Nach dem Fall der Mauer führte er die Katholiken aus Ost- und Westdeutschland zusammen. Für die Menschen in seinem Bistum Mainz, aber nicht selten auch für die Politik in Deutschland war er einfach ein Seelsorger. "Es gibt eine wichtige Wechselseitigkeit aller im Geben und im Nehmen, sonst gibt es keine Gerechtigkeit", sagte er 2006 beim Katholikentag in Saarbrücken. Auch der Arbeitslose könne kleine Zeichen des Entgegenkommens bringen. "Dies ist auch wichtig für die Verantwortung der Generationen untereinander."

Anfang Januar 1990: Damals war die beliebteste Sendung des deutschen Fernsehens "Wetten dass..." und sie gastierte in Wiesbaden. Das ZDF hatte zum Dreikönigstag den damals prominentesten Kirchenmann Deutschlands als Gast gewonnen, den Mainzer Bischof Karl Lehmann (damals 53). Der parlierte vor der Sendung herzlich in der Umkleide mit Moderator Thomas Gottschalk, er bewältigte gelassen die Sendung neben Bo Derek und Christine Kaufmann. Aber der eigentliche Karl Lehmann war jener Priester, der vor und nach der Sendung mit der Maskenbildnerin einfach, ehrlich und lange über den Alltag und ihre Erfahrung mit Kirche sprach. Er suchte solche Gespräche. Oder sie suchten ihn. In den Pfarrgemeinden, beim Karneval in seinem geliebten Mainz, auch mal im Stadion von Mainz 05.

Ein Mann des Dialogs

Lehmann stand für eine Kirche des Gesprächs. Kommunikation und Argumentation seien "für die heutige gesellschaftliche Situation der Kirche unersetzlich", wusste er. Und als sich die katholische Kirche in ihrer Spitze mehr oder weniger von der Welt abgrenzte und auf strikte Lehre setzte, warb er für eine Weite des Herzens. Eine Weite, die er in der Theologie fand und aus der er Kirche verantworten wollte.

Deutschland Kardinal Karl Lehmann
Für eine Kirche des Gesprächs: Karl Kardinal LehmannBild: Getty Images/R. Orwlowski

Lehmann war durch und durch katholisch. Und doch hatte er es mit seiner Kirche manchmal nicht einfach. Den Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis für den in Tübingen lehrenden Schweizer Theologen Hans Küng durch Papst Johannes Paul II. Ende 1979 bezeichnete er als "schwarzen Tag für die Theologie in Deutschland". Als Bischof blieb er der Theologen-Szene in Europa verbunden und suchte vielfach das Gespräch. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte er alles daran, die Theologen in Ost- und Westeuropa zusammenzubringen. Dass die Europäische Gesellschaft für katholische Theologie in Mainz gegründet wurde, verdeutlicht das.

Im Streit mit Rom

Seine Zeit als Vorsitzender der deutschen Bischöfe war über lange Jahre geprägt vom Ringen mit Rom. Da war der vieljährige Streit um die Beteiligung der katholischen Kirche an der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung, bei der Rom 2002 den Ausstieg der deutschen Bischöfe aus dem etablierten System durchdrückte. Da war 1994 die strikte Abfuhr für die südwestdeutschen Bischöfe von Mainz, Freiburg und Rottenburg-Stuttgart, die nach einer Scheidung wiederverheiratete Katholiken in engen Grenzen zur Kommunion zulassen wollten. Was damals so schroff zurückgewiesen wurde, ist in diesen Tagen in Deutschland übrigens möglich. Das passt. Lehmann, der übrigens auch schon vor Jahrzehnten theologisch durchdacht für Diakoninnen plädierte, war amtskirchlich seiner Zeit voraus.

Beim Ringen mit Rom galt Lehmann manchem als Wortführer der Kritiker - der war er nie. Manches Mal hat es Lehmann aber schier zerrissen zwischen Rom und Deutschland und einer gespaltenen Bischofskonferenz, in der der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner den konservativen Gegenspieler machte und in Rom die Strippen zog. "Man muss auch einen eigenen Kurs haben und gradlinig sein, auch ein bisschen zäh, ob das jedem passt oder nicht passt", sagte er einst.

Konklave beginnt Kardinal Karl Lehmann
Lehmann auf dem Weg zum Konklave im Jahr 2013, bei dem der heutige Papst Franziskus gewählt wurdeBild: AFP/Getty Images

Im Jahr 2001 erhob Papst Johannes Paul II. Lehmann doch zum Kardinal - in einem kirchengeschichtlich beispiellosen Verfahren. Am 21. Januar hatte der Papst 37 Kandidaten benannt. Sieben Tage später nannte er weitere fünf Namen, darunter Lehmann und Bischof Walter Kasper. So bekam Lehmann im Februar 2001 im Petersdom die Kardinalswürde gemeinsam verliehen mit einem argentinischen Geistlichen, Erzbischof Jorge Mario Bergoglio. Der Lateinamerikaner leitet heute als Papst Franziskus, bei dessen Wahl Lehmann 2013 noch beteiligt war, die Weltkirche.

Kanzler und Kardinal

Lehmann war geschätzter Gesprächspartner und suchte immer den Austausch - mit Wirtschaftsführern, Verfassungsrichtern, Kulturschaffenden. Er verfolgte stets die verfassungsrechtliche Literatur. Selbstverständlich kannte er Gesetzesentwürfe und Anträge bevor er sich dazu äußerte. Dazu gehörte, dass er in manchem Jahr 40, 50 Mal nach Berlin kam. Beim Lebensschutz, in der Bioethik und bei Debatten um Grundwerte scheute er als kundiger und kritischer Mahner nie das offene Wort. Als es in Deutschland an die Aussetzung der Wehrpflicht ging, blieb er skeptisch - wegen der Rolle der Bundeswehr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Längst nicht jedes Gespräch, zu dem ihn Bundespräsidenten oder Kanzler geladen hatten, wurde öffentlich. Helmut Kohl, der Lehmann seit 1968 kannte, beschrieb ihn einmal als "Pastor und Seelsorger". Gerhard Schröder nannte ihn einen sehr geschätzten Gesprächspartner. Monate vor der Bundestagswahl 1998 war er der erste katholische Bischof, der sich offiziell mit dem grünen Spitzenmann Joschka Fischer traf. Und einige Jahre später kamen die linken Front-Männer Gregor Gysi und Oskar Lafontaine in sein Berliner Büro.

"Politik und Politiker tun gut daran, die von ihm miterrichteten Brücken immer wieder zu betreten und die andere Seite aufzusuchen. Das tut der Politik gut", schrieb Angela Merkel zu Lehmanns 70. Geburtstag 2006. Und die Bundeskanzlerin schob einen Satz nach: "Und es tut dem Politiker als Mensch gut." Bei Lehmanns 80. Geburtstag 2016, seiner Verabschiedung, war der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, der Festredner.

Lehmann hat sich im Amt körperlich verausgabt. "Ich habe mich nach Kräften bemüht", sagte er in einer Zwischenbilanz 2007, als er 20 Jahre die Bischofskonferenz leitete. Da waren ihm die Anstrengungen bereits anzusehen. 2007 durchlebte er eine lebensgefährliche Herzerkrankung. Seit langem fiel ihm das Gehen wegen der Knie schwer. Am 27. August 2017 weihte Lehmann den Theologieprofessor Peter Kohlgraf zum neuen Bischof des Bistums Mainz - es bleibt nun sein letzter öffentlicher Auftritt. Nur Wochen später erlitt Lehmann im vergangenen September einen Schlaganfall.

Bischof Weihe Peter Kohlgraf
Lehmanns letzter öffentlicher Auftritt: Die Weihe seines Nachfolgers in Mainz Peter Kohlgraf Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Über viele Jahre wurde Lehmann mit Auszeichnungen und Ehrendoktor-Titeln überhäuft. Vielleicht bringt ausgerechnet die Begründung einer wahrlich nicht akademischen Ehrung sein Wesen auf den Punkt. Der Kardinal, hieß es da, verkünde "die frohe Botschaft mit Herzenswärme, nicht mit ideologischem Eifer". Das war 2005, als er in Aachen den "Orden wider den tierischen Ernst" erhielt.

Die Ökumene

Im Alter wollte Lehmann noch manche theologische Frage grundsätzlicher, auch wissenschaftlich erörtern. Sein Blick ging da auf die Ökumene, das Miteinander der Kirchen. Ihm blieb die Zeit nun nicht. Dabei hatte er in einigen ökumenischen Arbeitskreisen fast 50 Jahre prägend mitgearbeitet, um die Trennung aufzuarbeiten. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die in den 21 Jahren des Bischofskonferenz-Vorsitzenden Lehmann fünf Ratsvorsitzende hatte, verlieh ihm Ende 2016 als erstem Katholiken die Martin-Luther-Medaille. Es war ihm eine besondere Ehre. Jetzt ist er im Alter von 81 Jahren in Mainz gestorben.