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Immer mehr Kritik an ukrainischen Wahlen

Christiane Hoffmann, zurzeit Kiew23. November 2004

Nach dem umstrittenen Wahlergebnis in der Ukraine gehen in Kiew immer noch tausende Demonstranten auf die Straßen. Sie fordern eine faire Auszählung der Stimmen. Auch internationale Wahlbeobachter übten scharfe Kritik.

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Protestplakat gegen JanukowitschBild: AP

Gut 200.000 Menschen hatten sich am Montagabend (22.11.) auf den Unabhängigkeitsplatz im Zentrum von Kiew zur größten Demonstration seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 versammelt. Viele von ihnen trugen Schals in Orange, der Farbe der Opposition.

Für die Kinder

Und es sind nicht nur Studenten, die schon seit Wochen für den Oppositionskandidaten Victor Juschtschenko auf die Straße gehen. Auch Arbeiter, Rentner und Geschäftsleute wie Alexej demonstrieren für eine transparente Auszählung ihrer Stimmen. Denn es gehe um die Zukunft, sagt Alexej: "Wir wollen unseren Kindern einmal in die Augen schauen können, wir wollen alles dafür tun, dass sie normal leben können.

"Überzeugendes Ergebnis"

Im ganzen Land waren am Tag nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl Zehntausende auf die Straßen gegangen. Denn schnell war klar geworden - eine faire Wahl, geschweige denn Auszählung, hatte nicht stattgefunden. Über Stunden waren keine Ergebnisse bekannt gegeben worden, die Wahlkommission unterbrach in der Nacht ihre Arbeit. Am Morgen stellte sie dann fest, dass Viktor Janukowitsch - der Kandidat der Macht und Premierminister - mit drei Prozent Vorsprung gewonnen hat, obwohl Oppositionskandidat Victor Juschtschenko in Umfragen mit 59 Prozent der Stimmen eindeutig vorn lag. Am Montag wurde Victor Janukowitsch mit 49,42 Prozent zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt. Russlands Premier Wladimir Putin gratulierte zu dem "überzeugenden Ergebnis einer ehrlichen Wahl".

Massive Manipulation

Internationale Wahlbeobachter von OSZE, Europarat und NATO äußerten dagegen scharfe Kritik an der Abstimmung. "Die zweite Runde der ukrainischen Presidentschaftswahlen hat eine bedeutende Zahl von OSZE-Kriterien, Standards des Europarates sowie weitere europäische Standards für demokratische Wahlen vermissen lassen", sagt Bruce George, OSZE-Wahlbeauftragter. So seien Beschäftigte in Staatsbetrieben extrem gedrängt worden, Briefwahlunterlagen abzugeben. Auf diese Weise sei in einigen Regionen massiv manipuliert worden. Außerdem sei an einer Wahlbeteiligung im Donezker Gebiet von 98 Prozent, die um knapp 20 Prozent höher liegt als im ersten Wahlgang, stark zu zweifeln. Doros Christodoulides, Vertreter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, fordert eine deutlichere und nachprüfbare Auszählung der Stimmen. "Das Wahlergebnis sollte auf allen Ebenen veröffentlicht werden. Wenn die offiziellen Ergebnisse da sind, sollten sie auch für die einzelnen Wahllokale bekannt gegeben werden", sagt Christodoulides.

Am Montagabend bezifferte das Meinungsforschungsinstitut Razumkov-Center das Ausmaß der Wahlfälschungen auf elf Prozent. Oppositionsführer Victor Juschtschenko nannte eine Zahl von drei Millionen gefälschten Stimmzetteln. Doch der Chef der Wahlkommission, Sergej Kiwalow, reagierte auf die Kritik an der Stimmauszählung gelassen. "Ich möchte auch so schnell wie möglich eine Anwort haben, aber ich erinnere mich auch an den Ausspruch 'Eile mit Weile'", sagte Kiwalow.

Friedlicher Dauer-Protest

Die Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew haben sich bereits auf eine längere Zeit des zivilen Ungehorsams eingestellt. Auf der Hauptverkehrsstrasse Kretschatyk, die an Wochenenden zur Flaniermeile wird, ist innerhalb eines Tages eine "Stadt" aus gut 200 Zelten entstanden. Mehrere tausend Aktivisten der Jugendbewegung PORA haben die Nacht über ausgeharrt. Sie sind gut organisiert und versorgt, auch durch Spenden der Bevölkerung. Die angedrohte Räumung der Straße durch die Polizei ist bisher ausgeblieben. Die Kiewer Stadtverwaltung hat sich auf die Seite von Juschtschenko gestellt. Doch die Studenten halten auch Übergriffe der Miliz für möglich, sagt der 22-jährige Alexej Tolkotschjew, einer der Gründer von PORA. "Wir sind bereit, sie zu treffen und das werden wir ausschließlich friedlich tun. Und wir hoffen, dass unsere friedliche Einstellung die Milizionäre davon abhält, Hand an uns zu legen. Die Polizisten sind genauso Menschen wie wir", sagt Tolkotschjew.

Für Dienstag hat Juschtschenko die Menschen aufgefordert, zum Parlament zu kommen. Dort soll über die Wahlergebnisse debattiert werden. Es werde einer der wichtigsten Tage der vergangenen zehn Jahre und ein entscheidender für die Zukunft des Landes, sagt Juschtschenko.