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Paläontologen finden die älteste Schildkröte der Welt

Hanna Pütz1. Juli 2015

Paläontologen haben in Baden-Württemberg das Fossil der ältesten Schildkröte der Welt gefunden. Die 240 Millionen Jahre alte "Opa-Schildkröte" liefert wichtige Hinweise zum Familienstammbaum der gepanzerten Reptilien.

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Ur-Schildkröte Pappochelys SMNS, R. Schoch.
Bild: SMNS/R. Schoch

"Der Fund schließt eine weltweite Forschungslücke", sagt Paläontologe Rainer Schoch vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. "Das ist wie ein Sechser im Lotto". Denn die Anatomie der 240 Millionen Jahre alten Ur-Schildkröte verrät, dass Schildkröten eher mit den heutigen Echsen und Vögeln verwandt sind statt - wie bisher angenommen - mit urtümlichen Reptilien.

Das Fossil der ältesten Schildkröte der Welt haben Paläontologen in Vellberg bei Schwäbisch Hall gefunden und auf den Namen Pappochelys getauft, zu deutsch: Opa-Schildkröte. Seit 2001 graben Schoch und seine Kollegen in der Gegend, 18 Skelettreste haben sie seitdem geborgen und zusammengesetzt. Die Funde lösen Schoch zufolge gleich zwei Rätsel in der Evolutionsgeschichte: Sie zeigen, wie der Bauchpanzer der heutigen Schildkröte entstand und wie Schildkröten-Schädel ursprünglich ausgesehen haben.

Bisher galt die 220 Millionen Jahre alte Ur-Schildkröte Odontochelys aus China als ältestes Schildkröten-Exemplar. Bei ihr war der Bauchpanzer bereits vollständig verknöchert; der Rückenpanzer bestand nur aus verbreiterten Rippen. Auch wenn Pappochelys eher wie eine Echse anmutet, ist sich Schoch seiner Sache sicher. "Wir haben eine Palette von Schildkrötenmerkmalen", sagt er im Gespräch mit der DW.

Ur-Schildkröte Pappochelys SMNS, R. Schoch.
Keine Echse, sondern eine frühe SchildkröteBild: SMNS/R. Schoch

Schochs Ur-Schildkröte hatte zwar noch keinen Panzer, der Ansatz dafür war jedoch vorhanden: Ihre 30 bis 40 Bauchrippen sind dick und an den Enden gabelförmig, genau wie bei ihrem chinesischem Nachfahren - für Schoch ein wichtiger Hinweis für die baldige Entstehung eines Panzers. "Auch bei frühen Schildkröten-Embryos sehen die Rippen genau so aus, kurz bevor der Panzer zusammenwächst", sagt er.

Die Opa-Schildkröte aus Schwäbisch Hall hat Zähne und zwei große Öffnungen in der Schläfe. Bei heutigen Schildkröten sind die Löcher im Schädel evolutionär bedingt verknöchert, sie waren früher einer anderen Verankerung der Kiefermuskeln geschuldet. Vor allem aber gleicht ihr Schädelbau dem von heutigen Reptilien wie Echsen, Krokodilen und Vögeln.

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Bis der Schildkröten-Panzer ausgebildet war, vergingen Millionen JahreBild: Colourbox.com

Der Alltag von Senior-Reptil Pappochelys ähnelte Schoch zufolge dem der heutigen Galápagos-Echsen; ihnen sind auch die Schuppen auf den Skizzen nachempfunden. Die Ur-Schildkröte lebte in und um einen kleinen Süßwassersee und hat sich vermutlich gern im Wasser aufgehalten. Ihre schwer gebauten Rippen deuten jedoch darauf hin, dass sie tiefer tauchen konnte als gewöhnliche Echsen. Genau das ist den rund 20 Zentimeter langen Reptilien vielleicht zum Verhängnis geworden. "Wir haben Verletzungen bei einigen Skeletten gefunden. Wahrscheinlich wurden sie von einem Räuber im See gefressen, vielleicht von einem etwa zwei Meter großen, salamanderähnlichen Amphib", erklärt Schoch.

Ur-Schildkröte Pappochelys Rainer Schoch SMNS, R. Schoch.
Schoch und sein Team suchen weiterBild: SMNS/R. Schoch

Ob es sich tatsächlich um eine Opa- und nicht vielleicht doch um eine Oma-Schildkröte handelt, ist übrigens noch unklar. "Dafür brauchen wir noch mehr Informationen über die Beckenknochen", so Schoch. Der Speiseplan des Reptils sei jedoch bekannt: Reste von Nahrung im Magen des Fossils deuteten darauf hin, dass es sich von kleineren Echsen ernährt habe.

Schoch und sein Kollege Hans-Dieter Sues vom National Museum of Natural History in Washington präsentieren ihre ersten Erkenntnisse am Mittwochabend im Fachjournal "Nature", noch in diesem Jahr soll ein weiterer, umfassenderer Artikel erscheinen. Und Schoch gibt nicht auf: "Bis dahin graben wir natürlich ein- bis zweimal pro Woche weiter. Die Ergebnisse könnten aber jetzt schon ein ganzes Buch füllen."