Europaskeptiker auf dem Vormarsch
15. Juni 2004Bei der Europawahl in Großbritannien hat die europakritische "United Kingdom Independence Party" (UKIP) mit ihrem starken dritten Platz die beiden großen Parteien düpiert. Ihr Aushängeschild ist der 61-jährige Robert Kilroy-Silk. Seine Markenzeichen sind ein smartes Talkmaster-Lächeln, silberweißes Haar und Aussprüche von zugespitzter politischer Unkorrektheit. Lange Jahre hat er mit morgendlichem TV-Talk Millionen britischer Zuschauer begeistert, neuerdings nutzt er seine Talente wieder auf der politischen Bühne.
Als Rechtsableger der Tories setzt die UKIP nicht auf gemessene Europa-Skepsis, sondern auf pure Europa-Feindlichkeit. "Wir wollen nicht von Franzosen oder Deutschen regiert werden", lautet Kilroy-Silks Botschaft. Er fordert den Austritt des Königreichs aus der EU. Rund 17 Prozent der Wähler entschieden sich für dieses Programm. Fast aus dem Stand hat Kilroy-Silk es geschafft, die britische Parteienlandschaft aufzumischen. Bei der Parlamentswahl 2001 war die UKIP noch auf magere 1,5 Prozent der Stimmen gekommen.
"Freispruch" durch Wähler
Im belgischen Landesteil Flandern hat jeder vierte Wähler für die rechtsextreme Partei „Vlaams Blok“ gestimmt. Mit einem Anteil von nahezu 23 Prozent verbuchte sie einen Zuwachs von rund sieben Prozent. Die Rechtsextremen sehen darin eine Bestätigung für ihren radikalen Kurs gegen Ausländerwahlrecht, Zuwanderung und Kriminalität. Ihr Parteichef Frank Vanhecke, der Spitzenkandidat bei den Europawahlen war, wertete den Wahlausgang als „Freispruch“ durch die Wähler, nachdem ein Berufungsgericht die Partei kürzlich als rassistisch eingestuft hatte.
Durch einen so genannten "cordon sanitaire" hielten die demokratischen Parteien bisher den "Vlaams Blok" aus Koalitionen fern. Den Aufstieg der Rechtsextremen konnten sie damit aber nicht bremsen. Im französischsprachigen Landesteil Wallonien erhielt die rechtsgerichtete „Front National“ acht Prozent.
Mit Mistgabel gegen Kritiker
Alle Appelle von Politikern, Intellektuellen und Kirchenvertretern halfen nicht: Die Polen zeigten den Wahlen zum Europäischen Parlament die kalte Schulter. Die Beteiligung war mit 20 Prozent einmalig niedrig. "Man kann von einer roten Karte für die Politiker sprechen", räumte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski ein. Die Wahl wurde zum Triumph der Populisten. Die nationalistisch-klerikale "Liga Polnischer Familien" (LPR), die mit antisemitischen Parolen aufgefallen ist sowie die Gleichstellung homosexueller Gemeinschaften und ein liberaleres Abtreibungsrecht bekämpft, wurde mit 16,6 Prozent zweitstärkste Partei.
"Nicht auf Knien" forderte wiederum die radikale Bauernpartei "Samoobrona" im Wahlkampf, die mit 12 Prozent der Stimmen den dritten Platz errang. "Wenn der EU-Beitritt schon nicht zu verhindern war, müssen wir jetzt in der EU für die Interessen Polens kämpfen", verlangte ihr Chef Andrzej Lepper. Im Vergleich zu früher, als der einstige Amateurboxer im Unterhemd zur Mistgabel griff und Gegner attackierte, zeigt er sich inzwischen gemäßigter. Die Parlamentarier aus anderen Ländern dürften sich in Straßburg dennoch auf Einiges gefasst machen. So blockieren "Samoobrona"-Abgeordnete gerne mal das Rednerpult.
Für Lepper soll das Parlament in Straßburg Tribüne für Aufmerksamkeit erregende Auftritte und ein Sprungbrett sein: Er möchte eines Tages polnischer Präsident werden. Im Moment hätte Lepper gute Chancen: Nach Präsident Kwasniewski ist er der populärste Mann Polens. (ert)