1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Litauer wollen ihr Atomkraftwerk retten

Ruth Reichstein 7. Oktober 2008

In Litauen steht ein letztes Atomkraftwerk der Marke Tschernobyl. Die Europäische Union hat das Land verpflichtet, das Kraftwerk Ende 2009 abzuschalten. Aber die Politiker wollen "Ignalina" weiter laufen lassen.

https://p.dw.com/p/FVX1
Das Atomkraftwerk "Ignalina" in Litauen
"Ignalina" soll bleiben. Die Litauer möchten ihr Atomkraftwerk trotz des Widerstands der EU behalten.Bild: EPA PHOTO / AFI / GATIS DIEZINS

Der Reaktor von Ignalina brummt leise vor sich hin. Der Lärm lässt kaum erahnen, dass in dieser rund 20 Meter breiten Röhre die Kernspaltung stattfindet, die Atomenergie produziert – und damit 70 Prozent des gesamten Stroms in Litauen.

Der Direktor des Kraftwerks, das an der Grenze zu Weißrussland liegt, Viktor Shevaldin, ist stolz auf sein Ignalina. Er nennt es seine nationale Schatzkammer. "Es ist sehr wichtig für die Bevölkerung, dass wir hier unseren eigenen Strom produzieren können. Leider ist das Kraftwerk mittlerweile ziemlich alt. Es wird also sicherlich abgeschaltet werden. Die Frage ist nur: Wann?"

Hoffnung für Ignalina?

Im Kraftwerk hoffen alle auf eine Verlängerung der Laufzeit – wenigstens bis 2012. Aus Litauens Hauptstadt Vilnius kommt Unterstützung für diese Pläne: Ignalina soll bleiben, darüber sind sich alle Parteien im Parlament einig. Die liberale Fraktion von Eligijus Masiulis hat nun sogar ein öffentliches Referendum beantragt.

Sein Ziel ist die Rettung von Ignalina. "Die Energiepreise sind in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Wir können auf den billigen Atomstrom nicht verzichten", erklärt Masiulis. Er befürchtet, dass die litauische Energieversorgung ohne das Kraftwerk komplett von Russland abhängig sei. "Das müssen wir verhindern."

Die EU bleibt bei ihrer Forderung

José Manuel Barroso (16.09.2008/DPA)
Für EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist das Kraftwerk zu alt und störfällig und damit ein RisikoBild: picture-alliance/ dpa

Die Umfragen in der Bevölkerung sprechen für sich: Über 70 Prozent der Litauer wollen, dass Ignalina weiter läuft. Und die Politiker hoffen, dass die Europäische Union sich von einem solchen Votum beeindrucken lässt. Bisher ist das allerdings nicht der Fall. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat erst kürzlich in Brüssel erklärt, dass Ignalina auf jeden Fall vom Netz genommen werden müsse. Das Risiko für einen Störfall sei zu groß.

In Litauen hofft man trotzdem weiter. Denn mit Ignalina ist der Nationalstolz sozusagen direkt verbunden. Kaum einer redet hier öffentlich gegen Atomkraft. Wenige Ausnahmen sind Umweltschützer wie Rimantas Braziulis. Der Vorsitzende der Grünen-Bewegung wirft der Regierung vor, dass sie in den vergangenen Jahren nur auf die Atomkraft gesetzt und alle anderen Energieformen vernachlässigt habe. "Es ist seit Jahren bekannt, dass wir ohne Ignalina keine anderen eigenen Quellen haben werden. Aber niemand hat sich um die Entwicklung von erneuerbaren Energien gekümmert. Und jetzt stehen wir vor einem riesigen Problem", sagt er.

Endzeitstimmung im Kraftwerk

Eiserne Strommasten stehen auf einem Feld (15.01.2007/AP)
Rund 70 Prozent des Stroms in Litauen wird in Ignalina produziertBild: AP

Referendum hin oder her - im Kraftwerk herrscht Endzeitstimmung. Der erste Reaktor wurde schon vor vier Jahren stillgelegt. Auch das geschah auf Drängen der EU. Die Arbeiter fürchten, dass dieses Schicksal bald auch den letzten Atomreaktor des Landes ereilen könnte. Für viele von ihnen wäre das eine Katastrophe.

"Ich habe hier meinen ersten und einzigen Arbeitsplatz. Ich bin gleich nach der Hochschule hierher gekommen. Ignalina ist für mich zu einer zweiten Heimat geworden. Wir haben hier nichts anderes. Für mich ist es fast ein heiliger Ort", sagt eine Mitarbeiterin. Ein Kollege hat die Vermutung, dass die EU Ignalina aus einem bestimmten Grund schließen will: "Weil wir hier so billigen Strom produzieren können. Sie wollen diese Konkurrenz ausschalten." Noch 14 Monate bleiben für die endgültige Entscheidung. In Litauen hoffen alle auf Verständnis aus Brüssel.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen