Chinesischer Dissident fordert Ende des Ein-Parteien-Systems
11. Februar 2009China habe auf dem Wege der Demokratisierung viele Umwege gemacht, so lautet Lings Fazit, nachdem er sämtliche chinesischen Verfassungstexte der letzten 100 Jahren analysiert hat. So sah zum Beispiel die Verfassung der ehemaligen Republik China von 1946 die Direktwahl der Kreisvorsteher vor. In der Verfassung der Volksrepublik fehlte später dieses Recht. Vor allem aber klagt Ling die Rechte ein, die von der Verfassung der Volksrepublik garantiert werden, wie etwa die Meinungs- und Pressefreiheit.
Milder Appell
Ling will seinen offenen Brief nicht als Provokation der chinesischen Führung verstanden wissen. Er sieht in seinem Schreiben lediglich einen "milden Appell".
In der letzten Zeit wird in China der Ruf nach politischen Reformen lauter. Im Dezember veröffentlichten Hunderte Intellektuelle, Anwälte und Bürgerrechtler eine „Charta 08“. In bewusster Anlehnung an die Prager „Charta 77“ forderten sie politische Reformen wie Gewaltenteilung, Direktwahl der Parlamentsabgeordneten und unabhängige Justiz. Auch Ling Cangzhou zählt zu den Erstunterzeichnern der Charta 08. Die Antwort der Regierung in Peking kam prompt: Einer der Hauptinitiatoren, Liu Xiaobo, wurde verhaftet.
Wie die Parteispitze über die Vorstöße der Bürgerrechtler denkt, zeigt ein Artikel des Politbüromitglieds Jia Qinglin, der in einer Partei-Zeitschrift veröffentlicht wurde. Geht es nach Jia, dann sollte sich China von westlichen Ideen wie einem Mehrparteien-System und einer Gewaltenteilung nicht beirren lassen. Dissident Ling widerspricht: „Viele entwickelte Länder können wir als Vorbild für die Reform unserer Verfassung nehmen. Die US-Verfassung etwa oder das deutsche Grundgesetz." In China gibt es ein Sprichwort, meint Ling: "Man kann den Fluss überqueren, während man nach den Steinen tastet. Aber wenn es da schon eine solide Brücke gibt, warum soll man sich dann nasse Füße holen?“