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Chinas Wirtschaft im Sinkflug

Thomas Kohlmann4. März 2015

Die chinesische Wirtschaft ist zwei Jahrzehnte lang zweistellig gewachsen und mittlerweile weltweit die Nummer Zwei. Jetzt muss das Land mehrere Gänge auf einmal herunterschalten - möglichst ohne Getriebeschaden.

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China People's Bank of China in Peking
Passanten vor dem Sitz der Chinesischen Zentralbank in PekingBild: Teh Eng Koon/AFP/Getty Images

Weich, hart oder holprig? Welche Landung legt die chinesische Wirtschaft nach mehr als zwei Jahrzehnten Höhenflug hin, wenn sie auf dem Boden der Tatsachen aufsetzt? Diese Frage stellen sich nicht nur Wirtschaftsexperten in China, sondern auf der ganzen Welt. Denn mittlerweile ist die chinesische Volkswirtschaft zur globalen Nummer Zwei aufgestiegen und eine harte Landung hätte Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Die für 2015 von den Entscheidungsträgern in Peking offiziell anvisierten "6,9 bis 7,1 Prozent" Wirtschaftswachstum wirken auf den ersten Blick beeindruckend, wenn man sie mit der schwächeren Dynamik westlicher Industrieländer vergleicht - doch nur auf den ersten Blick.

Denn ein Schwellenland mit erheblichem Nachholbedarf wie China ist auf höhere Wachstumsraten als ein entwickeltes Industrieland wie Deutschland angewiesen, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Frieden zu gewährleisten. Die kritische Grenze sehen Ökonomen bei sechs bis acht Prozent - China läuft also Gefahr, aus diesem "Stabilitätskorridor" herauszufallen.

Gut vorbereitet?

Die chinesische Staats- und Parteiführung hat sich auf ein niedrigeres Wachstum eingestellt und will ihre Volkswirtschaft umbauen. Statt in immer mehr Fabriken zu investieren, deren Produkte in alle Welt exportiert werden, soll der chinesische Binnenkonsum angekurbelt werden. Seit einiger Zeit habe die Führung in Peking erkannt, "dass ihr bisheriges Wachstumsmodell, das aus zu viel Sparen und zu viel Investitionen besteht und sehr kapitalintensiv ist, nicht nachhaltig ist", beschreibt der US-Ökonom Nouriel Roubini die Bemühungen der Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping. Doch dies treffe natürlich auf Widerstände und könne nicht über Nacht umgesetzt werden: "Wahrscheinlich ist, dass Präsident Xi zuerst seine eigene politische Macht festigen will. Xi handelt dabei gegen die Interessengruppen, die vom alten Wachstumsmodell profitiert haben: Staatsbetriebe, Provinzregierungen, die Volksbefreiungsarmee und der staatliche Sektor", meint Roubini. Sobald Xi seine Machtposition etabliert habe, könnten tiefgreifende Reformen eingeleitet werden.

Nouriel Roubini
Nouriel Roubini, Professor für Volkswirtschaft an der New York UniversityBild: picture-alliance/dpa

Warten auf Reformen

Tatsächlich lassen viele in Aussicht gestellte Reformen auf sich warten. Deutsche Unternehmen begrüßen die Stärkung der Binnennachfrage und die Umstellung der chinesischen Wirtschaft auf eine höhere Wertschöpfungsstufe, unterstreicht die Chefin der Deutschen Außenhandelskammer (AHK) in Peking, Alexandra Voss. Wichtig sei aber auch die Art und Weise, in der das angekündigte Reformprogramm der chinesischen Führung umgesetzt werde. Dazu gehörten ein fairer Marktzugang, der Abbau von Bürokratie und Rechtsstaatlichkeit. "Generell wird das Reformpaket von unseren Mitgliedern begrüßt, obwohl auch nach einem Jahr Details zu Maßnahmen relativ vage sind", so Voss. Der Volkskongress biete die Gelegenheit, erste Impulse zu geben.

Massiver Umbau

Wie sehr sich Chinas Wirtschaft von anderen großen Volkswirtschaften unterscheidet, zeigt der Blick nach Deutschland und in die USA: In Deutschland betrug der Anteil von Investitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013 rund 17 Prozent (19 Prozent in den USA), während der private Konsum bei knapp 60 Prozent (knapp 70 Prozent in den USA) lag. In China machten die Investitionen im selben Jahr dagegen fast 50 Prozent am BIP aus – der private Konsum weniger als 35 Prozent.

China Umweltverschmitzung 03.05.2014
Fast die Hälfte der chinesischen Volkswirtschaft entfällt auf Investitionen - etwa in Immobilien und FabrikenBild: Reuters

Doch wenn Einkommen an die Haushalte umverteilt werden, um den privaten Verbrauch zu steigern und die Investitionen zu verringern, so gibt Nouriel Roubini zu bedenken, resultiert daraus weniger Wachstum. "Wenn dies gleichzeitig mit einem Rückgang und der Alterung der Bevölkerung erfolgt, muss sich das Wachstum verlangsamen, da der Dienstleistungssektor weniger produktiv sein wird als der kapitalintensive Produktionssektor", so Roubini. Man müsse in den nächsten Jahren also eher von einer Wachstumsrate zwischen fünf bis sechs Prozent ausgehen.

Mehr Wachstum – aber wie?

"Das, was die Konjunktur zurzeit am meisten nach unten zieht, ist der Immobilienmarkt. Während sich die wirtschaftliche Gesamtsituation seit Ende September etwas gebessert hat, werden die Investitionen bei Immobilien in diesem Jahr weiter zurückgehen. Die Staatsausgaben werden auch zurückgehen, so dass die chinesische Binnenkonjunktur das Wachstum belastet", meint Michael Spencer, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank für die Asien-Pazifik-Region. Die Reaktion darauf würden Zinssenkungen der chinesischen Zentralbank im März und Mai sein, sagte Spencer im Gespräch mit Bloomberg TV Ende Februar voraus. Mit der Zinssenkung im März lag er bereits richtig: Seit dem 1. März hat die Zentralbank mehrere Schlüsselzinssätze gesenkt, um die schwächelnde Konjunktur anzukurbeln. Offiziell wurden die Zinssenkungen am 1. März mit steigendem deflationären Druck und fallenden Rohstoffpreisen begründet.

Negative Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt in China 18.11.2014 Peking
Leeres Verkaufsbüro für Luxus-Immobilien in PekingBild: Reuters/K. Kyung-Hoon

Überkapazitäten ohne Ende

Spätestens seit sich die Ölpreise global halbiert haben, bekommen auch Durchschnittsverbraucher einen Eindruck von dem, was Ökonomen das "Ende des Rohstoff-Superzyklus" nennen. Seit einigen Jahren geht der Bedarf an Rohstoffen massiv zurück, die Preise sind drastisch gefallen und Rohstoffproduzenten bleiben auf ihren Produkten sitzen.

Chinas Industriesektor produziert mittlerweile Überkapazitäten von vorher ungekanntem Ausmaß. Beispielsweise in der Stahlindustrie: Während die Stahlpreise weltweit bereits im Rückwärtsgang waren, nahmen 2013 in China 20 neue Hochöfen die Produktion auf. Die Folge war ein noch größeres Überangebot und ein noch größerer Preisverfall. In nur einem Jahr stürzte der Preis für den international gehandelten Shanghai Baustahl von 3400 Yuan (etwa 490 Euro) im März 2014 auf zuletzt rund 2400 Yuan (rund 350 Euro) pro Tonne ab – nahe am historischen Tiefstpreis. China saß Ende November nach Zahlen des Datenanbieters "SteelHome" auf einem Berg von fast 110 Millionen Tonnen Eisenerz.

Symbolbild China Industrie Produktion
Überkapazitäten in der StahlbrancheBild: picture-alliance/dpa

So oder ähnlich sieht es auch bei den Schiffswerften oder in der Zement- und Aluminiumbranche aus. Und das, obwohl die chinesische Regierung bereits im Frühjahr 2014 alle Projekte für den Bau von noch mehr Aluminium-Hütten auf Eis gelegt hatte.

Schulden vervierfacht

Außerdem haben sich einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey zufolge die chinesischen Schulden in den vergangenen sieben Jahren auf mehr als 28 Billionen US-Dollar vervierfacht. Als erhebliche Risiken sehen die Autoren der Studie Chinas kaum regulierte Schattenbanken und die Überschuldung vieler Regionalregierungen. Ungefähr 50 Prozent aller Kredite in China sind in die Immobilienbranche geflossen, obwohl immer mehr Neubau-Projekte nahezu leer stehen. Gleichzeitig ist der weitgehend unkontrollierte Schattenbank-Sektor Chinas in den vergangenen Jahren pro Jahr um mehr als 30 Prozent gewachsen, so die Studie.

Michael Spencer von der Deutschen Bank erinnert daran, dass China auf einem unvorstellbaren Devisenberg sitzt, mit dem es nicht nur auf den Devisenmärkten jederzeit intervenieren könne, sondern auch gegen andere Gefahren gut gewappnet sei: "China hat 3,8 Billionen US-Dollar Devisenreserven angehäuft. Man kann zehn, zwölf Jahre Dollar kaufen und man kann zehn, zwölf Jahre Dollar verkaufen, wenn man will."

Hart oder weich?

Nach Meinung von Nouriel Roubini besteht die Hoffnung, dass Präsident Xi Jinping wie Deng Xiaoping sei, der auch zuerst seine Macht gefestigt und sie dann eingesetzt habe, um strukturelle Reformen aggressiv umzusetzen. "Trotzdem bleibt abzuwarten, ob Xi seine Macht für einen guten Zweck einsetzen wird oder nur, um die Stabilität des derzeitigen Systems und Regimes zu bewahren", fügt der Star-Ökonom hinzu.

China Nationaler Volkskongress 2013 Xi Jinping & Li Keqiang
Neue Impulse auf dem Volkskongress? Xi Jinping (li.) und Ministerpräsident Li KeqiangBild: Reuters