1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was das Volk vom Volkskongress will

Frank Sieren4. März 2015

Die Welt schaut gespannt nach Peking, wo seit heute der Nationale Volkskongress tagt. Die Chinesen interessieren sich dabei für andere Fragen als die ausländischen Beobachter, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

https://p.dw.com/p/1EkyU
China Nationaler Volkskongress 2013
Bild: Reuters

Der Volkskongress ist traditionell die Show des Premierministers. Denn er steht der Regierung vor. Und die Regierung ist den rund 3000 Delegierten des chinesischen Parlamentes Rechenschaft schuldig. Am Donnerstag muss Premierminister Li Keqiang dem Parlament denn auch seine Arbeit präsentieren. Und obwohl die Delegierten nicht im westlichen Sinne frei gewählt sind, wird unter den Delegierten aus dem ganzen Land so kritisch diskutiert, dass die chinesische Führung durchaus nervös ist.

Das ist dieses Jahr aufgrund der besonderen Machtverhältnisse besonders spannend. Noch nie seit Deng Xiaoping war ein Staats- und Parteichef so mächtig wie Xi Jinping. Deshalb lautet nun die Frage: Wie groß ist Premier Lis Spielraum, eigene Akzente zu setzen? Kein großes Thema wird für ihn die Antikorruptionskampagne sein, obwohl sie gegenwärtig eines der wichtigsten Themen in China ist. Der Kampf gegen Korruption ist jedoch Parteisache und damit Xis Baustelle.

Lis Thema: die Wirtschaftsreformen

Am größten ist Lis Spielraum bei einem nicht minder wichtigen Thema, den Wirtschaftsreformen: Für die hat er ja den Slogan der "neuen Normalität" geprägt. Das bedeutet: Chinas Hochwachstumsphase ist vorbei. Das Land will in Zukunft langsamer und im günstigsten Fall qualitativ ausgewogener wachsen. Das zieht allerdings einen Umbau der Gesellschaft nach sich. Und das ist längst nicht mit der Frage entschieden, ob China nur mit 6,5 Prozent oder doch mit sieben Prozent wächst. Diese Zahl sagt fast mehr über die Einschätzung der globalen Konjunktur aus, als über den Zustand der chinesischen Wirtschaft.

Die chinesische Bevölkerung interessiert eine ganz andere Frage zum gleichen Thema: Schafft Premier Li genug Arbeitsplätze? Damit eng zusammen hängt das Thema, wer wo arbeiten darf. Wie will die Regierung verhindern, dass noch mehr Bauern in die Städte ziehen, um dort besser bezahlte Jobs zu finden. Und wie geht die Regierung mit den Wanderarbeitern um, die schon in den Städten sind. Wann bekommen sie die gleichen Rechte wie die Städter?

Immer wichtiger: Umweltschutz und Soziales

Das dritte große Thema ist die Umweltverschmutzung. Nicht zufällig hat die Journalistin Chai Jing kurz vor dem Volkskongress eine große kritische Dokumentation herausbringen dürfen, die dann 100 Millionen Mal im Internet heruntergeladen wurde und umgehend großen Beifall selbst von Umweltminister Chen Jining bekommen hat, den die Doku eigentlich unter Druck setzt. Auch in diesem Bereich müssen Li und seine Minister Erfolge verkünden.

Das vierte große Thema ist der Sozialstaat. Folgende Frage interessiert die Menschen brennend: Wie abgesichert bin ich, wenn ich krank werde oder meinen Job verliere? Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, ob Wohnungen bezahlbar bleiben.

Schon eher Spezialisten als die breite Bevölkerung interessiert die Frage, wie die chinesische Regierung mit der schwächelnden Wirtschaft umgeht. Wie oft muss man die Zinsen noch senken? Gibt es eine Deflationsgefahr? Muss man den Renminbi nun abwerten, um international wettbewerbsfähig zu bleiben? Der Kurs der chinesischen Währung ist erst vergangene Woche so sehr gefallen wie seit Oktober 2012 nicht mehr. Und erst am vergangenen Wochenende senkte die chinesische Notenbank die Zinsen um 0,25 Prozent auf 5,35 Prozentpunkte, um frisches Geld auf den Markt zu bringen und damit einer Deflation im Land entgegenzuwirken. Wie schnell muss man den Yuan international konvertierbar machen? Wie umfassend müssen die Finanzmärkte geöffnet werden?

Frank Sieren Kolumnist Handelsblatt Bestseller Autor China
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Nachdem das Reich der Mitte fast 30 Jahre lang zweistellige Wachstumsraten erreichte, wurde vergangenes Jahr das Ziel von 7,5 Prozent Wirtschaftswachstum verfehlt. Überkapazitäten in der chinesischen Industrie, aber auch der abkühlende Immobilienmarkt haben dazu geführt, dass die Wirtschaft zuletzt so langsam wuchs wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Umbau soll Wirtschaft stabilisieren

Eine Lösung des Dilemmas ist aber schon in Sicht: Chinas Wirtschaft wird grundlegend umgebaut. Nach dem Umbau soll Chinas Wirtschaft nicht nur moderner, sondern vor allem stabiler sein, so dass das Land auch mit Wachstumsraten von sieben Prozent auskommt, ohne dass die Zufriedenheit in der Bevölkerung darunter leiden soll. Anstatt wie bisher auf Exporte und Nachfrage aus dem Ausland zu vertrauen, will China den Binnenkonsum künftig durch eine Reihe von Reformen ankurbeln.

Signale, dass die neue Normalität bereits greift, lassen sich anhand der Zahlen im Dienstleistungssektor gut ablesen: Im vergangenen Jahr wuchs Chinas Wertschöpfung hier um zehn Prozent auf 46,7 Prozent des BIPs und hatte damit den der Industrie übertroffen. Auch die Hightech-Branche hat einen höheren Anteil am BIP als die konventionellen Industriesektoren. Mittlerweile ist der Beitrag des Binnenkonsums zum Wirtschaftswachstum innerhalb von nur zwei Jahren um 15 Prozent gewachsen.

Das Volk will vor allem Arbeitsplätze

Die Bevölkerung interessiert wiederum vor allem die Frage, in welchem Umfang die Regierung ein Konjunkturprogramm auflegt, damit genug Arbeitsplätze entstehen. Die außenpolitische Positionierung Chinas ist zwar für westliche Beobachter interessant, für den Durchschnitts-Chinesen jedoch kein Pflicht-, sondern eher ein Kür-Thema. Ob es Xis 40 Milliarden US-Dollar Seidenstraßenprojekt oder die zahlreichen Investitionen der chinesischen Firmen im Ausland oder Chinas Kooperationen in Afrika sind - Chinas Außenpolitik setzt verstärkt darauf, sich international zu positionieren.

Der diesjährige Volkskongress ist auch noch aus einem weiteren Grund besonders spannend: Da Ende des Jahres der jetzige Fünfjahresplan ausläuft, geht es nun um die Eckdaten des Nachfolgeplans, der die Jahre von 2016 bis 2020 umfassen wird. Und die Regierung Li hat den Ehrgeiz, diesen Plan dann auch einzuhalten. Lis Vorgängern ist das meist gelungen.

Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.