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Abschiebung nach 13 Jahren Leben und Arbeiten in Deutschland

17. Oktober 2003

- Rumänische Familie kampiert auf dem Bukarester Flughafen - Ungelöste Frage der staatenlosen Rumänen

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Bonn, 16.10.2003, DW-radio, / Rumänisch, Keno Verseck

Jahrelang hatte Deutschland von Rumänien die Rückübernahme staatenloser Rumänen verlangt, die aus Deutschland nicht abgeschoben werden konnten. Die meisten von ihnen hatten Anfang der neunziger Jahre ihrer Heimat den Rücken gekehrt, wo sie angesichts chaotischer Zustände nach dem Sturz des Diktators Ceausescu keine Zukunft mehr sahen. Erst im Jahr 2000 erklärte sich Rumänien nach massivem Druck des deutschen Innenministeriums bereit, die Staatenlosen zurückzunehmen. Gelöst ist das Problem für die Betroffenen damit nicht. In Deutschland wehren sich zur Zeit Dutzende Personen und Familien gegen ihre Abschiebung. Auf dem Bukarester Flughafen Otopeni kampieren derzeit elf Staatenlose, die bereits abgeschoben wurden, sich aber weigern, rumänisches Territorium zu betreten. Sie wollen eine Rückführung nach Deutschland erwirken. Keno Verseck hat die Staatenlosen auf dem Bukarester Flughafen besucht.

Flughafen Bukarest-Otopeni, Wartesaal des Ankunftsterminals. Hier, in der Lärmkulisse von ständigem Kommen und Gehen lebt seit gut acht Monaten die Familie Codreanu. Der Vater Constantin, seine Frau Carmen und die beiden Kinder, Gabriela und Andrei, sitzen auf Plastikbänken am Rande des Wartesaals, hinter einer Treppe. Nachts schlafen sie auf dem Boden. Ihr Besitz erschöpft sich in vier Taschen mit Kleidern und Schlafsäcken. In der rumänischen Öffentlichkeit sind sie bekannt als die Staatenlosen vom Flughafen Otopeni. Vier von insgesamt elf Staatenlosen, die auf dem Flughafen kampieren.

Im März dieses Jahres wurden die Codreanus aus Deutschland abgeschoben, nachdem sie dort mehr als zehn Jahre gelebt hatten - die Eltern hatten einen festen Arbeitsplatz, die Kinder gingen zur Schule und auf die Universität und glänzten mit Bestleistungen. Jetzt weigern sie sich, die rumänische Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen. Sie wollen zurück nach Deutschland. Und leben dafür wie Obdachlose. Gabriela Codreanu, 21 Jahre alt, Jurastudentin in Koblenz, für die Rumänisch fast eine Fremdsprache ist, zeigt, wo die Familie sich seit acht Monaten wäscht - auf einer öffentlichen Toilette im Untergeschoss des Flughafens.

"Das ist eigentlich für Behinderte. Das unglaublich große Waschbecken, wo dann alles drin stattfindet und... Und wie gesagt, ohne Privatsphäre und all diese Dinge."

Die Kontrolle über ihr Schicksal haben die Codreanus zwischen rumänischem Verwaltungschaos und deutscher Pedanterie verloren. 1990, in den Wirren nach dem Sturz des Diktators Ceausescu, als die Wendekommunisten ihre Macht mit Hilfe prügelnder Bergarbeiter sicherten, gingen die Codreanus nach Deutschland, um normal zu leben. Constantin Codreanu, 52 Jahre, fand in Koblenz Arbeit als Kurier, seine Frau Carmen, 49, als Buchhalterin. Ihr Asylantrag wurde 1993 abgelehnt, zur gleichen Zeit aber gaben sie ihre rumänische Staatsbürgerschaft ab. Sie vertrauten

darauf, deshalb nicht abgeschoben zu werden. Sie hatten sich getäuscht. Am 10. März dieses Jahres wurden sie von BGS-Beamten verhaftet, nach Frankfurt gefahren und dort in ein Flugzeug Richtung Bukarest gesteckt.

Die Codreanus sind kein Einzelfall. Über tausend staatenlose Rumänen gab es bis vor kurzem in Deutschland. Den Status als Staatenlose konnten sie in den neunziger Jahren leicht erlangen. Entgegen internationalem Brauch entließ Rumänien seine Bürger aus der Staatsbürgerschaft, ohne dass sie die Aussicht auf eine andere nachweisen mussten - eine Praxis, die noch aus der Ceausescu-Zeit stammte. Viele Rumänen, die in Deutschland bleiben wollten, hofften so einer Abschiebung zu entgehen. Auf Druck Deutschlands schaffte Rumänien dieses Praxis 1997 ab, zumal Beamte der rumänischen Botschaft in Bonn auch falsche Staatenlosen-Bescheinigungen ausgestellt hatten. Das Problem der bis dahin staatenlos Gewordenen blieb. Eine Überprüfung ergab 1998, dass von den über tausend staatenlosen Rumänen etwa die Hälfte rechtmäßig staatenlos war. Doch auch die will Deutschland nun endlich loswerden, egal, ob sie integriert sind oder nicht, einen Arbeitsplatz haben und dem Staat nicht zur Last fallen. Härtefallregelungen gibt es für sie nicht, auch nicht für Familien wie die Codreanus, deren Kinder als Muttersprache Deutsch haben. Es geht ums Prinzip.

Rumänien hat sich 2000 bereit erklärt, die staatenlosen Rumänen zurückzunehmen. Das war eine Bedingung dafür, dass Deutschland die ab 2001 eingeführte visumfreie Einreise von Rumänen in westeuropäischen Länder nicht blockiert. Rechtlich ist die Rücknahme der Staatenlosen nicht unumstritten. So verfügte der europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg vor kurzem den Abschiebestopp für einen in Deutschland lebenden staatenlosen Rumänen.

Auch Familie Codreanu will vor dem Gerichtshof in Strassburg klagen. Sie weigert sich, nach Rumänien einzureisen und rumänische Papiere entgegen zu nehmen. Denn, so sagt Gabriela Codreanu, die Abschiebung ihrer Familie sei illegal.

"Das Allerwichtigste ist, dass wir überhaupt keinerlei Justiz und Gerichte bräuchten, sondern lediglich die Anwendung eines Gesetzes, nämlich Artikel 2, Absatz 5 des deutsch-rumänischen Übereinkommens von 1992. Darin ist Deutschland ausdrücklich verpflichtet, diejenigen Abgeschobenen zurückzunehmen, die nicht die rumänische Staatsangehörigkeit haben."

Gabriela Codreanu selbst hätte sogar in Deutschland bleiben können - allerdings allein. Bedingung für ihren Verbleib wäre gewesen, dass ihre Eltern und ihr 13jähriger Bruder nach Rumänien ausreisen.

"Die Ausländerbehörde hat mir das Angebot gemacht, dass ich aufgrund meiner sehr guten Leistungen in der Schule und in der Universität allein in Deutschland bleiben kann, aber ich werde mich garantiert nicht so von meinen Eltern wegreißen lassen, nachdem sie ein Leben lang dafür gearbeitet haben. Dass man jemandem das Angebot macht, seinen Eltern mehr oder minder einen Tritt in den Hintern zu geben, das finde ich unglaublich." (fp)