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Wem nützt die Armuts-Statistik?

Klaus Jansen28. März 2013

Natürlich darf man Statistiken nicht trauen. Aber wo stünde man ohne sie? Um Armut in Europa zu bekämpfen, muss man erst einmal darüber Bescheid wissen. Dazu braucht man mehr als nur nackte Zahlen.

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Mann durchsucht Müll (Foto: Mehmed Smajić)
Symbolbild AltersarmutBild: DW

Übersichtlich und klar steht sie da, die Tabelle des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden, der deutschen Statistikbehörde. Aufgelistet sind die 27 EU-Staaten, und verglichen wird zweierlei: Wie sehr sind die Menschen in den einzelnen Ländern von Armut bedroht? Und: Wie ungleich sind die Einkommen in diesen Ländern verteilt.

Am stärksten von Armut bedroht sind demnach die Bürger in Bulgarien, Rumänien, Spanien und Griechenland. Auch die Schere zwischen hohem und niedrigem Einkommen ist in diesen Ländern groß. Vor allem in Spanien, Lettland und Bulgarien ist das Einkommen ungleich verteilt. Deutschland liegt recht unauffällig in der Nähe der Durchschnittswerte. In der EU sind insgesamt 16,9 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Die höchsten Einkommen (oberstes Fünftel) liegen im EU-Schnitt 5,1 mal höher als die niedrigsten Einkommen (unterstes Fünftel). Doch so sauber die Statistik auch aussehen mag, sie sorgt auch für Kritik:

Primus Tschechien?

Ein Land sticht aus der Statistik deutlich hervor: die Tschechische Republik. Es sieht so aus, als habe sie alles richtig gemacht, belegt Platz Eins in beiden Kategorien. Hier sind die Einkommen nur halb so weit auseinander wie beim Schlusslicht Spanien, und Tschechien hat auch die geringste Armutsgefährdungsquote. Sollte sich die europäische Armutspolitik also an Tschechien orientieren?

Info-Grafik zur Armutsschere (Grafik: Barbara Scheid)

Nein, meint Christoph Schröder vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "Ich halte diese Statistik in ihrer Aussagefähigkeit für limitiert", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Das liegt daran, dass man hier einen Wert willkürlich festgelegt hat, der Armutsgefährdung ausdrücken soll."

Mit der Sprache der Statistik gesprochen: Personen, die weniger als 60 Prozent der mittleren Einkünfte eines jeweiligen Landes zur Verfügung haben, gelten als armutsgefährdet. In Tschechien sieht das für Singles konkret so aus: Wer dort weniger als knapp 4.500 Euro im Jahr verdient, ist gefährdet. In Luxemburg zum Beispiel wird der Wert anders berechnet: Hier gilt schon als armutsgefährdet, wer weniger als rund 19.500 Euro im Jahr zur Verfügung hat. Schröder meint, hier würden weitere wichtige Werte fehlen, um die Realität der Lebensverhältnisse abbilden zu können.

Ein breiteres Bild

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) berücksichtigt auch andere Statistiken. Was sagen die Menschen zum Beispiel selber? Empfinden sie sich als arm?

Fast ein Drittel der Griechen sagt ja, obwohl die Statistik des Bundesamtes einen deutlich niedrigeren Wert angibt. Außerdem wurden Europäer auch konkret befragt, was sie sich leisten können: Reicht das Geld für Miete und Heizkosten, für ein Auto, eine Urlaubsreise? Kommen die Haushalte gut mit ihrem Einkommen zurecht?

Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (Foto: IW)
Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft in KölnBild: Institut der deutschen Wirtschaft

Durch die Kombination dieser Werte ergibt sich ein genaueres Bild. Tschechien rückt dabei ins Mittelfeld, Dänemark und Luxemburg sind die neuen Spitzenreiter. Griechenland, Rumänien und Bulgarien sind auch hier wieder am Ende der Statistik zu finden. "Dieses Bild war das, was wir erwartet hatten", meint Christoph Schröder. Jetzt könne man in Länderanalysen vergleichen, was einzelne Länder speziell auszeichne, dann könne man sie auch als Vorbild heranziehen.

Statistik allein genügt nicht

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge misstraut dagegen den Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Der Wissenschaftler von der Universität Köln betont, das IW vertrete die Position der Wirtschaft. Das Institut wird von der Privatwirtschaft finanziert, die Ergebnisse der statistischen Untersuchungen seien deshalb auch stark interessengelenkt.

Der Wissenschaftler nennt ein Beispiel: Das IW komme durch die Statistiken zum Schluss, dass ein einheitlicher Mindestlohn in Deutschland "ein ineffizientes Instrument zur Armuts-Bekämpfung" sei, da vor allem Alleinerziehende und Arbeitslose von Armut bedroht seien. Armutsforscher Butterwegge widerspricht. Dass diese beiden Gruppen betroffen seien, sei richtig, aber "man braucht auch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der verhindert, dass ein immer größerer Niedriglohnsektor entsteht." Für das IW sei der gesetzliche Mindestlohn aber "der Teufel in Person", dabei hätten 20 von 27 EU-Staaten einen solchen Mindestlohn.

Christoph Butterwegge, Armutsforscher (Foto: Karlheinz Schindler)
Armutsforscher Christoph ButterweggeBild: picture alliance/ZB

Konsequenzen ziehen

Butterwegge betont im DW-Gespräch, dass Statistik oft eine Gratwanderung sei. "Auf der einen Seite kann man viel Kritik an den Zahlen üben, auf der anderen kommen wir nicht ganz ohne aus." Wichtig sei, die Zahlen richtig zu deuten, und darüber hinaus auch danach zu handeln.

Dass auch in Deutschland die Armut weiter zunehme, sei durch das Statistische Bundesamt belegt, so Butterwegge. "Man wird die Armut nicht wirklich bekämpfen können, wenn man nicht den Reichtum antastet." An dieser Umverteilung habe die Politik aber kein Interesse. Im Gegenteil: Für Besserverdienende und Reiche seien in den vergangenen Jahrzehnten Steuern und Abgaben häufig weiter gesenkt worden.