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Waskowycz fordert Solidarität der Weltgemeinschaft

Stefan Dege3. September 2014

Der Präsident der ukrainischen Caritas, Andrij Waskowycz, zeichnet ein katastrophales Bild von der Lage in der Ost-Ukraine. Jetzt sei die internationale Gemeinschaft gefragt.

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Bild: DW

DW: Herr Waskowycz, was zwischen Russland und der Ukraine passiert, ist das Krieg?

Andrij Waskowycz: Wir betrachten es in der Ukraine schon seit längerer Zeit, seit dem Einfall Russlands auf die Krim, der Annexion der Krim, als Krieg - als nicht deklarierten, unerklärten Krieg.

Wozu führt das? Wie ist die Lage der betroffenen Menschen, soweit Sie das wissen?

Als die Krim annektiert wurde, gab es Flüchtlinge von der Krim, die hauptsächlich in die West-Ukraine kamen. Diese Menschen verloren ihre Heimat. Wir dachten, die Situation sei unter Kontrolle zu bekommen, was Flüchtlingshilfe angeht. Doch plötzlich entstand diese neue Aggression in der Ost-Ukraine. Das Flüchtlingsaufkommen ist gewachsen. Inzwischen haben wir Hunderttausende Flüchtlinge, sowohl Binnenflüchtlinge als auch Menschen, die in andere Länder geflohen sind, um sich vor der Gewalt in der Ost-Ukraine zu schützen. Dort leben die Menschen unter dem Terror bewaffneter Gruppierungen, von denen man nicht weiß, was sie machen.

In der Zwischenzeit hat sich das Bild noch verändert: Russland hat russische Truppen auf das Territorium der Ukraine geschickt. Wir haben es mit einer neuen Invasion zu tun. Die Flüchtlingsströme sind seither enorm angestiegen, allein in der letzten Woche um 20.000 bis 25.000 Binnenflüchtlinge, die aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile geflohen sind. Es kommt hinzu: Die Versorgung der Menschen in den umkämpften Gebieten ist nicht mehr gewährleistet. Vor allem steht es schlecht mit der Wasserversorgung der Bewohner von Lohansk und Doneszk, zwei Gebieten, in denen mehr als 3,9 Millionen Menschen leben! Sie haben weder eine ausreichende Wasserversorgung, noch ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet. Inzwischen gibt es weitreichende Zerstörungen. Das ist die Herausforderung, vor der die Caritas steht: Wie können wir den Menschen helfen, den Flüchtlingen, aber auch den Menschen, die ausharren müssen in den umkämpften Gebieten.

Sie setzen hier einen Hilferuf ab?

Das ist ein Hilferuf. Die Ukraine setzt Hilferufe seit Wochen und Monaten ab. Sie braucht Hilfe von der internationalen Gemeinschaft, die lange Zeit nicht eingreifen wollte, weil die Ukraine lange nicht bereit war, eine humanitäre Krise auszurufen - auch aus Furcht, dass Russland dann tätig werden könnte - und zwar auf solche Weise, wie es in den letzten Wochen war, als Russland Hilfskonvois in die Ukraine geschickt hat - ohne Absprache mit der ukrainischen Regierung, ohne Absprache mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Da wusste man nicht: Sind das Hilfslieferungen? Oder ist das der Versuch einer Invasion mit anderen Mitteln?

Stehen auch die Kirchen in der Ukraine mit dem Rücken zur Wand?

Es gibt fünf große traditionelle ukrainische Kirchen - drei orthodoxe Kirchen, die des Moskauer Patriarchats, des Kiewer Patriarchats und eine autokephale orthodoxe Kirche. Und es gibt zwei katholische Kirchen in der Ukraine. Die christlichen Kirchen haben eine Plattform, auf der sie gemeinsame Positionen formulieren können. Und in der Vergangenheit ist das auch mehrfach gelungen. Vier dieser Kirchen arbeiten enger miteinander zusammen. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats hat größere Schwierigkeiten, weil sie als ein Instrument der Machtpolitik Russlands gilt. Alle anderen Kirchen sind bereit zusammen zu arbeiten, vor allem auch im humanitären Bereich. Sie entwickeln gemeinsam Konzepte, wie den Menschen in dieser schwierigen Lage geholfen werden kann.

Steht jetzt auch der Allukrainische Rat der Kirchen vor der Spaltung?

Nein, der Rat steht eher vor einer Konsolidierung angesichts der großen humanitären Krise im Lande, angesichts der Gefahr einer Eskalation und Ausweitung des Konfliktes. Ich sehe keine Anzeichen für eine Spaltung des Allukrainischen Rates.

Was braucht es, damit die Caritas diese große Herausforderung bewältigen kann?

Die Situation im Landes ist schwierig. Was die Caritas vor allem braucht, ist materielle Hilfe. Wir arbeiten zusammen mit unseren Partnern im Ausland und in Deutschland, vor allem dem Deutschen Caritasverband und Renovabis. Der Caritasverband hat Konzepte entwickelt, wie wir den vielen Binnenflüchtlingen helfen können, wie wir den Leuten im Osten helfen können. Unser Büro in Donezz musste geschlossen werden, weil es überfallen wurde und unsere Mitarbeiter bedroht wurden. So haben wir in einem sicheren Gebiet ein Büro eröffnet, das diese Hilfsprojekte aufbauen soll. Wir haben in der Zwischenzeit mehrere Hilfsprojekte durchgeführt, zum Beispiel bei der Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sowie Kleidung, auch in den umkämpften Gebieten. Für solche Projekte brauchen wir Geld und Know-how. Was die materielle Hilfe angeht, hoffen wir, daß die Internationale Gemeinschaft jetzt verstärkt auf die Ukraine schaut und erkennt, daß wir hier in Europa eine große, große humanitäre Krise haben, die so viele Menschen betrifft. Das Ausmaß der Zerstörung können weder die ukrainische Regierung oder das ukrainische Volk bewältigen. Hier ist die Solidarität der Weltgemeinschaft gefordert.

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Andrij Waskowycz ist Präsident der Caritas Ukraine und Vizepräsident von Caritas Europa. Das Interview mit ihm führte Stefan Dege.