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Warnung vor "religiöser Eskalation" in Nahost

Jan D. Walter23. Oktober 2015

Der Nahost-Preis zeichnet Menschen aus, die zu einer Lösung des Konflikts beitragen. Diesmal: Martin Schulz. Angesichts der Gewalt aktuell stellt der EU-Parlamentspräsident den Einfluss der politischen Anführer infrage.

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EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Syrien, Jemen, Irak - und mittendrin die "Mutter aller Konflikte". So nannte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den israelisch-palästinensischen Konflikt in seiner Dankesrede für den Nahostpreis der Deutschen Inititative für den Nahen Osten (DINO).

Die große Besorgnis um den eskalierenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern war zentrales Thema der zweiten Preisverleihung nach 2013. Neben Schulz wurde die Nahostexpertin Bettina Marx für ihre journalistische Berichterstattung für ARD und Deutsche Welle ausgezeichnet. Der Sportverein TUS Makkabi Köln erhielt als Beispiel für den "Ausgleich zwischen Sportlern verschiedener Nationen und Religionen", wie es in der Begründung der Jury heißt.

Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sei für langfristige Befriedung des gesamten Nahen Ostens unerlässlich, sagte Schulz, und auch deshalb "wichtiger denn je". Die dort erlebte Ungerechtigkeit gegen die Palästinenser werde in der muslimischen Welt und insbesondere den arabischen Staaten instrumentalisiert, um anti-israelische und anti-westliche Ressentiments zu schüren.

Auch die zweite Preisträgerin Bettina Marx, die seit Anfang Oktober das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah leitet, glaubt, dass ein Friede in Israel eine enorme Signalwirkung auf die ganze Region haben könnte. In arabischenLändern beobachte man nämlich sehr genau, was dort geschieht: "Als die Palästinenser 2006 wählten, schaute die ganze arabische Welt mit großem Neid nach Palästina", sagt Marx. "Später bei der Arabischen Revolution forderten dann die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz Rechte für Palästinenser."

Nahostpreis-Verleihung in Düsseldorf (Foto: DW)
Der Nahost-Preis wurde in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben.Bild: DW/Jan Walter

Schlechte Aussichten auf Frieden

Sollte der Frieden in Israel tatsächlich Grundvoraussetzung für den Frieden in der ganzen Region sein, stehen die Chancen nach Ansicht der Preisträgerin jedoch schlecht. Die gemeinhin geforderte zwei Staatenlösung sieht Marx nicht: Zum einen gebe es kaum einen Politiker in Israel, der das befürworten würde. Zum anderen seien die Palästinenser-Gebiete inzwischen vollkommen von israelischen Siedlern durchsetzt. "Wo soll denn da ein Staat Palästina entstehen?"

Für realistischer hält Marx daher einen einzigen Staat mit gleichen Rechten für beide Nationen. "Was wir als internationale Gemeinschaft vor allem fordern können, ist das Wahlrecht für alle Palästinenser." Ob das in einem oder zwei Staaten gewährleistet werde, sei eine Entscheidung der beiden Konfliktparteien.

Gewalt erschwert Friedensschluss

Die aktuelle Zunahme der Gewalt scheint einen solchen Friedensschluss jedoch in noch weitere Ferne zu rücken. Mindestens 40 Palästinenser und acht Israelis sind allein seit Anfang Oktober getötet worden. Noch, so Martin Schulz, könne man von einem territorialen Konflikt sprechen, "aber der Funke der religiösen Eskalation stellt eine realistische Gefahr dar ".

Sowohl Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, als auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas seien dringend aufgefordert, Führungsstärke zu zeigen. Doch genau die stellt der EU-Parlamentspräsident infrage: "Ich habe das Gefühl, dass beide Anführer auf Teile ihrer Bevölkerung keinen Einfluss mehr haben."

Messerattacken von Palästinensern gegen Israelis und die Ermordung von Palästinensern durch jüdische Siedler - auf beiden Seiten verüben Einzelne Gewalttaten, die ihre Regierungen verurteilen.

In Palästina wird die radikale Hamas dafür verantwortlich gemacht, den Einfluss des gemäßigten Mahmud Abbas und seiner Fatah zu unterminieren. Benjamin Netanjahus Rückhalt schwindet, weil ihm konservative Kräfte Zögerlichkeit vorwerfen. Zudem hat seine jüngsten Äußerung, der Großmufti von Jerusalem habe Adolf Hitler erst zu Holocaust angestiftet, viel Empörung in Israel hervorgerufen. "Vielleicht hat er damit überzogen", mutmaßt Marx.

Verzweiflung als Hoffnung

Wenn etwas Hoffnung mache, darin sind sich beide Preisträger einig, ist es gerade die verzweifelte Lage, in der sich beide Völker befinden: "Wir können uns nur ganz schwer vorstellen, wie es ist, wenn Eltern ihre Kinder nicht allein an der Bushaltestelle stehen lassen, weil sie nie wissen, wann der nächste Angriff kommt", beschreibt Schulz die Realität in Jerusalem - für beide Gruppen, wie Marx betont.

"So will niemand leben", sagt die Nahostexpertin, "weder Israelis, noch Palästinenser". Dies sei der Hoffnungsschimmer: Dass der verzweifelte Wunsch nach Frieden stärker wird als die ideologische Feindschaft.