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Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Grit Kienzlen31. Oktober 2003

Lange Zeit war es ruhig um das Thema menschliche embryonale Stammzellen. Mit ihrer Rede vom Mittwoch (29.10.03) hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Diskussion wieder ins Rollen gebracht.

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Menschliche StammzelleBild: AP

Nach Artikel 2 des Grundgesetzes hat das menschliche Embryo auf jeden Fall und zu jedem Zeitpunkt ein Recht auf Leben. Aber kommt ihm auch schon die unantastbare Würde des Menschen zu? Theologische Ethiker beantworten diese Frage mit einem klaren Ja. Für sie beginnen die Persönlichkeitsrechte ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle:

"Das Konzept geht davon aus, dass die Schutzwürdigkeit etwas ist, was dem wachsenden Keim Kraft seiner Herkunft durch das Genom mitgegeben ist, also quasi von innen her erzeugt ist. Da wird eigentlich die Persönlichkeit begründet durch eine Organisationsinstanz, sprich das Genom, die Chromosomen, der Chromosomensatz oder die Gene, die den Embryo von innen her steuern.", sagt der Baseler Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter.

Schutzwürdigkeit

Das Potenzial und die Möglichkeit, sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln, verleiht dem Keim die Schutzwürdigkeit von der ersten Sekunde an. Diese Ansicht findet ihre Entsprechung im Embryonenschutzgesetz. Per Definition ist dort jede totipotente Zelle geschützt, die sich unter entsprechenden Bedingungen zu einem ganzen Menschen entwickeln kann. Totipotent bedeutet, dass die Zelle jede Art von Gewebe und damit letztlich einen ganzen Organismus hervorbringen kann.

Dass diese Definition einen gehörigen Haken hat, ist in den vergangenen Jahren immer offensichtlicher geworden. Der deutsche Stammzellenforscher Hans Schöler von der Universität von Pensylvania prognostiziert: "Es wird früher oder später möglich sein, eine Körperzelle zu nehmen und diese theoretisch wieder zu einem Organismus zu bringen. Dass das zumindest mit dem Kern möglich ist, hat ja Ian Willmut mit Dolly gezeigt. Und von daher können Sie natürlich sagen: Jede Körperzelle ist potenziell in der Lage, einen ganzen Körper zu machen, also ist das alles totipotent."

Eine Frage der Totipotenz

Schöler ergänzt: "Dadurch wird das alles natürlich ad absurdum geführt. Dann können sie mit dem Totipotenz-Begriff nichts mehr anfangen. Da müssen Sie sich was anderes überlegen, und da ist es nur konsequent zu sagen, der Begriff hilft uns bei unseren ethischen Diskussionen nicht mehr groß weiter."

Dieser Einschätzung hatte sich im Mai diesen Jahres auch die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn angeschlossen. Der Philosoph Ludwig Siep von der Universität Münster, Mitglied in mehreren Ethikkommissionen, stellt daher inzwischen öffentlich die Frage: "Wäre es nicht ehrlicher, Totipotenz so zu verstehen, dass das bedeutet, einen Embryo in einer Entwicklung zum Kind hin anzuhalten? Das wäre sozusagen ein äußerer Eingriff, eine äußere Störung, während alles, was vor der Implantation ist, ja ständig unser aktives Handeln impliziert."

Abwägung von Rechten

Damit kommt Ludwig Siep zum selben Schluss wie die Bundesjustizministerin. Dass dem Keim nämlich erst ab der Einnistung in die Gebärmutter, wenn er eine echte Chance hat, sich zu einem Individuum zu entwickeln, die Menschenwürde zukommt. Das Recht auf Leben hat er auch vorher schon, aber dieses Recht kann mit anderen Rechten abgewogen werden, die Menschenwürde nicht.

Beginnt der Mensch dann also bei der Einnistung? Nein, sagt der der Bioethiker Rehmann-Sutter. Der Mensch entsteht Schritt für Schritt durch die Beziehung, die wir zu ihm aufbauen, noch während er sich im Mutterleib entwickelt:

"Leben beginnt gar nicht. Leben wird weitergegeben. Die Eizelle lebt, die Samenzelle lebt, selbstverständlich lebt der Embryo vom ersten Zeitpunkt an und auch vorher schon. Es ist also gar nicht das Entstehen von Leben, was hier zur Debatte steht, sondern es ist vielmehr das Entstehen der Schutzwürdigkeit im Sinne einer Person. Also die moralische Anerkennung oder die rechtliche Anerkennung als Rechtspersönlichkeit, als Subjekt von Rechten mit Ansprüchen. Und wenn wir so denken, dann denken wir immer schon von Beziehungen zwischen dem zu anerkennenden Wesen und uns."