Parlamentswahl in der Ukraine
28. Oktober 2012Auf den ersten Blick war alles so, wie es in einer Demokratie sein sollte: Es gab einen Wahlkampf unter mehr als 20 Parteien, die Opposition war stark und siegessicher. Die Parlamentswahl in der Ukraine am Sonntag (28.10.2012) werde "transparent und demokratisch" verlaufen, sagte Präsident Viktor Janukowitsch. Nach russischem Vorbild ließ Janukowitsch zum ersten Mal in der Ukraine in allen Wahllokalen Web-Kameras installieren, um maximale Transparenz zu suggerieren.
Doch der Eindruck täuscht. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) könnten zum ersten Mal seit 2004 eine Wahl in der Ukraine als undemokratisch und unfair einstufen. Die OSZE schickte so viele Beobachter in die Ukraine wie noch nie - 635. Insgesamt überwachten rund 3800 ausländische Beobachter die Abstimmung. Das Interesse ist vor allem deshalb so groß, weil sich die Ukraine seit dem Amtsantritt von Präsident Janukowitsch 2010 auf dem Weg zu einem autoritären Staat befindet. So sieht es jedenfalls die Opposition. Experten und Organisationen wie die Europäische Union zeigen sich besorgt über die Entwicklung in dem Land, das einst als "Leuchtturm der Demokratie" im postsowjetischen Raum galt.
Wahl ohne Oppositionsführerin
Das prominenteste Beispiel ist die Oppositionsführerin und frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Sie konnte zum ersten Mal seit 1998 nicht an der Parlamentswahl teilnehmen. Die 51-jährige ehemalige Anführerin der "Revolution in Orange" sitzt seit über einem Jahr hinter Gittern. Ein Gericht in Kiew verurteilte sie in einem international kritisierten Prozess zu sieben Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs bei der Unterzeichnung von Gasverträgen mit Russland. Auch andere Oppositionelle, wie der Ex-Innenminister der Timoschenko-Regierung, Juri Luzenko, waren aufgrund von Haftstrafen von der Wahl ausgeschlossen.
Das EU-Parlament wertete dies in einer Resolution als einen Versuch, politische Gegner auszuschalten. Manche Parlamentarier hatten bereits im Vorfeld Zweifel an der Wahl in der Ukraine geäußert. "Wenn eine Opposition mit ihren führenden Leuten nicht kandidieren kann, sind es keine freien Wahlen", meinte der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Bundestagsvorsitzende Wolfgang Thierse von der SPD im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Sofern politische Wettbewerber aus einem Wahlverfahren ausgeschlossen werden, wird die Fairness dieser Wahl in Frage gestellt."
Klitschko als Hoffnungsträger
Timoschenkos Fehlen in der Politik sei spürbar, sagte der Kiewer Star-Kolumnist Serhij Rachmanin. Der Wahlkampf sei unspektakulär verlaufen. Es habe keine starken Persönlichkeiten, keine hitzigen Debatten und keine neuen Themen gegeben. Auch viele Wähler hätten resigniert, kritisiert Rachmanin.
Umfragen sahen voraus, dass vier Parteien die Fünf-Prozent-Hürde nehmen und ins Parlament einziehen. Auf Platz eins lag danach die regierende Partei der Regionen mit rund 23 Prozent. Für die "Vereinte Opposition", ein Bündnis auf der Basis der Timoschenko-Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland) wurden rund 17 Prozent vorhergesagt - fast genauso viel wie für die UDAR-Partei des Boxweltmeisters im Schwergewicht, Vitali Klitschko. Die Klitschko-Partei ist neu, ihre Popularitätswerte gingen nach oben. Nach der Wahl will Klitschko mit der Timoschenko-Partei koalieren. Allerdings weigerte er sich, einen Koalitionsvertrag vor der Wahl zu unterzeichnen. Damit sorgte er für Unmut bei den Timoschenko-Leuten. Als vierte Kraft werden wohl auch die Kommunisten mit rund zehn Prozent den Einzug ins Parlament wieder schaffen.
Rechtsextreme im Parlament?
Es könnte sein, dass erstmals die rechtsextreme Partei "Swoboda" (Freiheit) ins Parlament in Kiew einziehen wird. Die Timoschenko-Partei hat mit "Swoboda" bereits einen Vertrag über eine Koalition unterzeichnet. Manche Experten wie Wilfried Jilge von der Universität Leipzig halten diese Entscheidung für bedenklich. Jilge beschreibt "Swoboda" als "antieuropäisch", "antiliberal" und eine Partei mit "nazistischen Tendenzen". Die Regierungspartei nutze "Swoboda" in den Medien zur Diskreditierung der gesamten demokratischen Opposition, warnt Jilge. Die prowestliche Opposition hätte sich von einer solchen Partei lieber "klar abgrenzen müssen", so der Experte.
Manipulationen vor der Wahl
Doch selbst wenn alle Oppositionellen über die verschiedenen Parteilisten zusammen mehr Stimmen als die Regierungspartei bekommen sollten, glaubt Jilge nicht an einen Sieg der Janukowitsch-Gegner. Er spricht von "Manipulationen im Vorfeld ", die das Ergebnis beeinflussen. Das Wichtigste: Janukowitsch habe das gemischte Wahlsystem wieder einführen lassen, sagt der Ukraine-Experte. Bei diesem System werde nur die Hälfte des 450-köpfigen Parlaments nach den Listen der Parteien gewählt. Die andere Hälfte machen Direktkandidaten aus. Sie könnten zur Regierungspartei überlaufen und dem Präsidenten eine Mehrheit verschaffen. In der Ukraine nennt man solche Überläufer "Tuschki". Das Wort bedeutet "geschlachtete Tiere" und spielt auf die Käuflichkeit dieser potenziellen Überläufer an.
Die letzten ukrainischen Parlamentswahlen nach dem gemischten System fanden 2002 statt. Die Opposition hatte sie gewonnen, doch dem damaligen Präsidenten Leonid Kutschma war es trotzdem gelungen, die Mehrheit der Abgeordneten auf seine Seite zu ziehen.