Von Cowboyhüten und dem Traum vom weiten Land
7. Februar 2004
"Die Menschen hier sind gut drauf, es ist wie eine große Familie", beschreibt Karin Schmidt die Stimmung unter den Countryfans auf der Musikmesse. Und tatsächlich – sie scheinen eine eingeschworene Gemeinde zu sein. Alle kennen sich, fallen sich zu Begrüßung begeistert um den Hals. Die meisten haben sich seit einem Jahr nicht gesehen – nämlich seit der letzten Musikmesse in Berlin. Aber was hat das Musikfest mit einer "Messe" zu tun? "Messe deshalb", erklärt Veranstalter Kai Ulatkowski, "weil die Fans hier auch alles Mögliche kaufen können. Aber die Hauptsache ist die Musik. Mehr als einhundert Bands treten auf."
Ein Klubhaus wird zum Countrysalon
Das neunte Jahr in Folge treffen sich Countrymusik-Fans in einem Klubhaus im Stadtteil Reinickendorf im Berliner Norden. Rundherum Plattenbauten, ein Einkaufszentrum, viel Beton. Vom viel besungenen weiten Land ist nichts zu sehen. Hier braucht es harte Fans und viel Phantasie, um von Abenteuer und amerikanischer Freiheit zu träumen.
Westerntanz wie 1850
Die Fans scheint es nicht zu stören: Schon kurz nach Beginn des Festivals ist der Saal voll, formieren sich Cowgirls und -boys in Fransenjacke und Petticoat zum Line Dance, der modernen Form des amerikanischen Volkstanzes zu Westernrythmen. Doch dieser Tanz ist in der Szene nicht ganz unumstritten. "Die Line Dance Szene ist im Moment unter den deutschen Fans sehr populär", sagt die Berliner Sängerin Carolina. "Damit sind unsere Fans ganz schön beschäftigt. Da haben viele im Moment nicht soviel Zeit für die eigentliche Musik", fürchtet sie.
Countrymusic- ein wachsender Markt
In Deutschland gibt es rund 15.000 Line-Dance-Tänzer, so Ralf Eyertt, Herausgeber des Onlinemagazins "Countryhome". Insgesamt sollen 30.000 Musikfans aktiv sein. Countrymusik boomt. "Um zwei Prozent ist der Umsatz im vergangenen Jahr gewachsen und das bei einem insgesamt schrumpfenden Musikmarkt", so Eyertt. Die amerikanische "Countrymusic Association" gibt den Umsatz mit Countryplatten in Deutschland im vergangenen Jahr mit 64 Millionen Euro an.
Shania Twain – das Idol der deutschen Countryfans
Doch darin sind auch die Plattenverkäufe von Sängern wie Shania Twain enthalten. "In den USA ist sie ein Country-Star", sagt Kai Ulatkowski, der MesseVeranstalter. "Doch in Deutschland läuft sie eher unter Pop, weil ihre Musik für Europa extra noch mal eingespielt wird – mit Keyboards und elektronischem Schnickschnack statt mit der Gitarre." Trotzdem ist die Sängerin eine der Heldinnen auf dem Festival, obwohl sie nicht anwesend ist. "Seit Shania Twain wird endlich auch im Radio mal Country gespielt, sonst hört man so wenig", sagt Maggie Rogalski.
Leben für die Countrymusik
Maggie ist Designerin. Seit 17 Jahren verkauft sie ihre eigene Westernkollektion. "Ich kann davon leben und verkaufe alles, was ein Fan so braucht – vom Gürtel, über Fransenjacken und Hüte bis zu Ballkleidern im alten Stil. Solchen, wie sie Scarlett O´Hara in 'Vom Winde verweht' getragen hat." Und ihr Standnachbar Buddy ergänzt: "Eine ordentliche Ausrüstung im "Old Style", also aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, kostet um die 1000 Euro. Der moderne Fan dagegen braucht nur einen Hut, ein Hemd und jede Menge gute Laune." Bisher kamen in jedem Jahr mehr Bands und Besucher, sagt der Veranstalter. Doch die deutsche Countrymusic hat Nachwuchssorgen. "Es gibt nur wenige junge Sänger und die meisten singen auf Englisch." Trotzdem glaubt Kai Ulatkowski an sein Musikgenre: "Viele Leute haben genug von all der elektronischen Musik. Bei Country singen alle Künstler noch live und machen Musik per Hand."