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Verfassungsschutz unter Druck

5. Juli 2012

Warum ließ ein Beamter des Verfassungsschutzes Akten über V-Leute vernichten? Welche Rolle spielte die Behörde, als die rechtsterroristische Gruppe NSU untergetaucht war? Die Parlamentarier bekamen Antworten.

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Symbolbild: Bleistift in der Hand (Foto: Fotolia/Laurent Hamels)
Bild: Fotolia/Laurent Hamels

Vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Neonazi-Terror der Zwickauer Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm Fehler eingeräumt. Bei den Ermittlungen zur Mordserie des Neonazis-Trios habe seine Behörde keine Bezüge zum Rechtsextremismus festgestellt. Fromm sagte, "diese analytische Engführung" habe sich als falsch erwiesen. Die Suche der in die Illegalität Verschwundenen sei nach 2001 eingestellt worden. Der Verfassungsschutz habe keinen Handlungsbedarf mehr gesehen. Aus heutiger Sicht betrachtet "war auch das ein Fehler". Die Rechtsterroristen der NSU werden für zehn Morde verantwortlich gemacht.

Zu Fragen, weshalb ein Referatsleiter im November 2011 kurz nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie die Vernichtung von sieben Akten über V-Leute in der rechtsextremen Szene in Thüringen anordnete, sagte Fromm, verabredet sei gewesen, alte Akten, die nicht mehr gebraucht werden, nach und nach zu vernichten. Bei dem verantwortlichen Beamten habe es so gewesen sein können: "Alte Dinger - Bezüge zum NSU? - Fehlanzeige! Also weg", sagte Fromm. Die Tatsache, dass in den Akten zu den V-Leuten des Amts in der Thüringer Neonazi-Szene keine direkte Verbindung zur Terrorgruppe dokumentiert sei, sei eine mögliche Erklärung. Er sagte aber auch: "Ich hab keine überzeugende Erklärung".

Verdacht nicht ausgeräumt

Zu Beginn der Ausschuss-Sitzung hatte sich der für die Aktenvernichtung verantwortliche Referatsleiter selbst zu den Vorwürfen eingelassen. Aus Parlamentskreisen in Berlin hieß es, er habe die Fragen der Abgeordneten sehr ausführlich beantwortet. Unionsobmann Clemens Binninger (CDU) sagte nach der Befragung,die Art und Weise, wie beim Verfassungsschutz Akten geführt, gespeichert oder gelöscht wurden seien, erinnere eher an eine Lotterie als an ein seriöses Prinzip. SPD-Obfrau Eva Högl sagte, der Verdacht, dass etwas vertuscht werden sollte, habe nicht ausgeräumt werden können.

Konsequenzen

Neonazimorde - Bilanz der Ermittlungspannen

Die Zerstörung der Akten war vergangene Woche bekanntgeworden. Fromm hatte daraufhin um seine Versetzung in den Ruhestand gebeten. Innenminister Hans-Peter Friedrich kündigte als Konsequenz aus der Affäre an, die Arbeit des Verfassungsschutzes werde jetzt grundsätzlich überprüft. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung setzte er einen Sonderermittler ein. Die Aufgabe solle der Unterabteilungsleiter im Innenministerium, Hans-Georg Engelke, übernehmen. Er werde Mitte kommender Woche mit seinen Untersuchungen in der Kölner Zentrale des Verfassungsschutzes beginnen.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Fromm auf, bei seiner Befragung all sein Wissen über die Rolle seiner Behörde auf den Tisch zu legen. Fromm sei einer der Hauptverantwortlichen, "die das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden und die tiefe Vertrauenskrise in die deutsche Sicherheitsstruktur zu verantworten haben", sagte Özdemir der "Rheinischen Post".

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte Änderungen beim Verfassungsschutz. Die Bundesbehörde müsse Vorschläge entwickeln, wie die Beobachtung von Rechtsextremisten in Zukunft zielgenau und ohne Informationsverluste organisiert werden könne. Zudem sei "neben der Professionalisierung der Arbeit auch eine Professionalisierung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes" nötig, sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Bisher keine Hinweise

Die Offenlegung von Geheimakten zur Neonazi-Affäre am Mittwoch hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Stück weit entlastet. Die Unterlagen ergaben keine Hinweise darauf, dass der Inlandsgeheimdienst V-Leute in der NSU oder ihrem direkten Umfeld geführt hat. Das erklärten die Obleute des Bundestags- Untersuchungsausschusses nach Einsicht in insgesamt 45 Aktenordner übereinstimmend. Trotzdem bleibt die Behörde unter Druck.

Die Verbrechen der Neonazi-Terrorgruppe NSU und mögliche Versäumnisse der Ermittler beschäftigen inzwischen auch in Bayern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Das Gremium soll die fünf Morde der NSU im Freistaat unter die Lupe nehmen und begann an diesem Donnerstag mit der konstituierenden Sitzung. Zeugenbefragungen werden voraussichtlich im Herbst beginnen.

hp/gmf (dpa, rtr, afp, dapd)