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Stimmung in Osteuropa

23. April 2010

Zwanzig Jahre nach Ende des Kommunismus sind die Menschen in Osteuropa frustriert über politische Führer und Wirtschaftseliten. Das sei aber kein Ausdruck von Demokratiefeindlichkeit, so eine US-Langzeitstudie.

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Im Florianstor in Krakow sitzt ein älterer Mann mit einem Becher und bettelt (Foto: dpa)
Verlierer des Wandels - ältere MenschenBild: picture alliance/zb

Die Länder des ehemaligen Ostblocks seien in den letzten Jahren besonders schwer von der Wirtschaftskrise getroffen worden, sagt Richard Wike vom Washingtoner Meinungsforschungsinstitut PEW-Research: "Trotzdem haben sich die Menschen nicht von demokratischen Werten oder vom Kapitalismus abgewandt. Allerdings gibt es viel Frustration über die Art und Weise, wie Demokratie und Kapitalismus in diesen Ländern derzeit tatsächlich funktionieren."

Junge Nachtschwärmer im Platinum-Club in Warschau (Foto: Justina Bronska)
Nutzen die neuen Möglichkeiten - junge StädterBild: Justyna Bronska

PEW-Research untersuchte im Laufe der letzten 20 Jahre, wie die Osteuropäer die Transformation vom Kommunismus zum Kapitalismus erlebten, und wie sich ihre Ansichten in dieser Zeit verändert haben. Ende 2009 verglich das Institut die Meinungen der Menschen mit denen des Jahres 1991.

Gewinner und Verlierer

"Einige Menschen sagen, dass es ihnen im Kommunismus wirtschaftlich besser ging." Insbesondere die ältere Generation und Rentner gehören zu den Verlierern der Wende. "Jüngere oder besser gebildete Menschen sind eher unter denen, die Kapitalismus und Demokratie befürworten", sagt der Meinungsforscher.

Ein Bauer in Polen (Foto: AP)
Von der Entwicklung zurückgelassen: die ländliche BevölkerungBild: AP

Das gelte auch für Menschen in städtischen Gebieten eher als in ländlichen. Diese Gruppen seien besser in der Lage, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich ihnen wegen der Transformation zu Demokratie und zum Kapitalismus bieten.

"Die meisten Menschen sagen uns, dass sie bestimmte demokratische Institutionen und Freiheiten haben wollen: Mehrparteien-Wahlen, eine freie Presse, eine faire Justiz. Aber viel weniger Menschen sagen, dass sie in ihren Ländern eigentlich so etwas haben."

Ein rumänischer Beamter mit einer Wahlurne sammelt Stimmen für ein EU-Referendum (Foto: AP)
EU-Mitgliedschaft - auf Enthusiasmus folgt ErnüchterungBild: AP

Interessanterweise ist die Frustration über die Unvollkommenheit der Demokratie gerade in Ungarn am größten - ausgerechnet in einem der frühen EU-Beitrittsländer, welches sich lange als Vorreiter bei Reformen rühmte: "Der Graben zwischen dem, was die Menschen von der Demokratie erwarten, und was sie von der Demokratie wirklich bekommen, war in Ungarn größer als in allen anderen Staaten, die wir untersucht haben", so Wike.

Chancen und Herausforderungen

Der Enthusiasmus der Anfangsjahre sei umgeschlagen, als die Bürger feststellen mussten, dass Demokratisierung auch ein langwieriger und schwieriger Prozess ist, und dass nicht alle gleichermaßen davon profitieren. Ungarn steche hervor, weil dort eine besonders schlechte Stimmung herrscht: "Die Ungarn sind sehr unzufrieden mit ihrer politischen Elite, besorgt über politische Korruption, haben mit die schlechtesten Meinungen gegenüber der EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Das manifestierte sich auch in den letzten Wahlen."

Mitglieder der rechtsextremen Ungarischen Garde bei einem Aufmarsch (Foto: dpa)
Extremistische Protestparteien profitieren von der UnzufriedenheitBild: picture alliance/dpa

Das erkläre daher auch das gute Abschneiden der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in den Parlamentswahlen Anfang April 2010, sagt Wike. Andere zentraleuropäische Staaten haben die Transformation besser bewältigt. Das spiegele sich auch in den Umfragen wieder. So sähen Tschechen, Polen und Slowaken die politische und wirtschaftliche Entwicklung in ihren Ländern etwas optimistischer. Sie stünden auch der EU-Mitgliedschaft positiver gegenüber als zum Beispiel die Befragten in Ungarn, Bulgarien, Litauen, der Ukraine oder Russland.

Viele Bürger haben das Gefühl, Verlierer der Transformation zu sein. "Viele sagen uns, dass Politiker und Wirtschaftsführer profitiert haben. Aber viel weniger Menschen sagen, dass einfache Bürger Gewinner der Veränderungen sind", sagt Wike

Roma in der Slowakei stehen vor einem Polizeiauto. Aufgenommen während sozialer Unruhen 2004 (Foto:dpa)
Vorurteile gegen Roma und andere Minderheiten sind noch starkBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Zurückgelassen: Roma als ausgegrenzte Minderheit

Minderheiten sind nach wie vor marginalisiert, auch wenn es Bemühungen gibt, diese zu integrieren. Besonders Roma bleiben außen vor - am Rand der Gesellschaft. So hätten acht von zehn Befragten in Tschechien oder der Slowakei ein negatives Bild von den Roma. Auch die Meinungen über Juden und andere Minderheiten seien häufig negativ belegt. Zwar hätten die negativen Meinungen insgesamt abgenommen, aber die vorherrschenden Vorurteile seien trotzdem noch sehr stark. So sagten in Bulgarien noch vor zwei Jahrzehnten 71 Prozent der Befragten, sie hätten ein negatives Bild von den Roma. Die Zahl sank 2009 auf 56 Prozent. Aber auch das sei immer noch sehr hoch, so Wike.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Nicole Scherschun