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"Unerwartete Wende" - 15 Jahre nach dem Moskauer Putschversuch

Britta Kleymann19. August 2006

Vor 15 Jahren versuchten konservative Kommunisten, die Macht in der Sowjetunion an sich zu reißen. Der Putschversuch scheiterte am Widerstand der Bürger. In den folgenden Monaten zerfiel die einstige Großmacht.

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Boris Jelzin hält vor dem Regierungssitz in Moskau eine RedeBild: AP

Eine Rundfunknachricht alarmierte am 19. August 1991 die Menschen in der Sowjetunion: Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow sei amtsunfähig, ein Notstandskomitee habe die Macht übernommen. Die Putschisten, konservative Kommunisten, wollen so die politischen Reformen im Land aufhalten. Einen Tag später, am 20. August, soll ein Unionsvertrag unterzeichnet werden, der die Machtverhältnisse zwischen den Sowjetrepubliken und der Zentralmacht neu ordnen sollte. Unter anderem diese Machtverschiebung wollen die Kommunisten verhindern. Panzer rollen in Moskau ein.

Rede auf dem Panzer

Doch die Menschen widersetzen sich dem Demonstrationsverbot; in Moskau herrscht Ausnahmezustand. Tausende protestieren tagelang gegen den Staatsstreich. Vor dem Regierungssitz, dem "Weißen Haus", machen sie mit "Jelzin, Jelzin"-Rufen deutlich, auf wessen Seite sie stehen.

Boris Jelzin, der erst im Juni 1991 gewählte Präsident der Sowjetrepublik Russland, ist der Hoffnungsträger der Demonstranten. Auf einem Panzer stehend, erklärt er die Putschisten für illegal und ruft zum Widerstand auf. Tausende folgen seiner Aufforderung, selbst Teile der Armee laufen über. Der Putsch scheitert. Nach drei Tagen kehrt Präsident Gorbatschow nach Moskau zurück. Die Putschisten, so erklärt er noch auf dem Flughafen, "wollten die Menschen mit ihren Parolen dazu bringen, einen Weg zu beschreiten, der unsere ganze Gesellschaft in die Katastrophe geführt hätte. Das ist aber misslungen, und das ist der größte Sieg der Perestroika."

Doch auch die Perestroika kann nicht aufhalten, was dann geschieht. Die Ereignisse überschlagen sich: die Kommunistische Partei wird entmachtet, immer mehr Sowjetrepubliken erklären sich für unabhängig. Zum Jahresende tritt Michail Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion ab. Die Sowjetunion zerfällt, von der ehemaligen Weltmacht bleibt nur ein loser Staatenbund, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).

Unerwartete Wende

Der deutsche Journalist Thomas Roth berichtete damals als Korrespondent aus Moskau für das deutsche Fernsehen. An die Ereignisse im August 1991 erinnert er sich auch heute noch lebhaft - und bilanziert: "Das war der Beginn des neuen Russlands, und von daher für uns alle, eben nicht nur für die damalige Sowjetunion, sondern für Russland und für ganz Europa eine völlig entscheidende und sehr unerwartete Wende."

Diese Wende war geprägt von starken Bildern: In der ganzen Welt verfolgten Menschen an den Fernsehgeräten, wie die Moskauer Barrikaden bauten, Frauen den Soldaten ins Gewissen redeten und unbewaffnete Jugendliche Panzern den Weg versperren wollten. Ein Aufbegehren der Bevölkerung, das heute so nicht denkbar wäre, meint der langjährige Russland-Korrespondent Roth. "Das kann ich mir heute, unter den gegebenen Verhältnissen, so nicht vorstellen. Es herrscht in der russischen Gesellschaft eher eine große Apathie", sagt er. "Man darf auch nicht vergessen, dass das, was wir in der Ukraine als orange Revolution wahrgenommen haben - das war die Zeit damals in den August-Tagen 1991, das war sozusagen die orange Revolution." Von Revolution wollten die Menschen in Russland heute nichts wissen, meint Thomas Roth. Vielmehr herrsche die Sehnsucht nach Stabilität, unter der Führung eines starken Präsidenten: Wladimir Putin.