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Umstrittene Bilanz des Bildungspakets

Bernd Gräßler26. April 2013

Die Regierung zieht eine positive Bilanz ihrer Förderung von Kindern aus "Hartz IV"-Familien. Sozialverbände werfen ihr statistische Tricks vor. Es komme zu wenig Geld bei den Betroffenen an.

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Ein achtjähriger Junge nimmt bei den Hausaufgaben im Fach Mathematik seine Finger zur Hilfe um besser zu zählen. (Foto: dpa/Patrick Pleul)
Bild: picture-alliance/dpa

Bundessozialministerin Ursula von der Leyen ist zufrieden: Kinder aus sozial schwachen Familien seien heute in der Gesellschaft weniger benachteiligt als vor zwei Jahren, verkündete die CDU-Politikerin in Berlin. Viele könnten jetzt erstmals den Schulbus nutzen, in der Schulmensa essen, an Klassenfahrten teilnehmen oder im Verein Sport treiben. Eine von der Ministerin in Auftrag gegebene Studie des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik zeigt, dass auch Zuschüsse zum Kauf von Lernmaterial von fast allen berechtigten Familien genutzt werden. Geringeren Erfolg hat allerdings der vom Staat bezahlte Nachhilfeunterricht für Schüler: Nur fünf Prozent der Berechtigten nutzen ihn. Viele Eltern scheuen sich offensichtlich, dieses Angebot anzunehmen, weil sie oft selbst nur eine unzureichende Vorbildung haben, hieß es bereits vor einiger Zeit in einer Studie der Vodafone-Stiftung. Insgesamt aber werde das von der Bundesregierung im April 2011 eingeführte sogenannte "Bildungs- und Teilhabepaket" von drei Vierteln aller 2,5 Millionen berechtigten Kinder und Jugendlichen in Anspruch genommen, betonte von der Leyen.

Regierung sieht sich auf dem richtigen Weg

Die erstmals im Auftrag der Regierung erhobenen Zahlen über das politisch umstrittene Bildungspaket zeigten eine "positive Bilanz", unterstrich die Ministerin. Den Anstoß dazu, Kindern und Jugendlichen aus bedürftigen Familien mehr Hilfe anzubieten, hatte 2010 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Den Richtern zufolge bekamen die Bezieher von Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") zu wenig Geld vom Staat, um ihren Kindern ein Mindestmaß an Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Ein Urteil, das zu der Erkenntnis passte, dass in keiner anderen vergleichbaren Industrienation der Bildungserfolg eines Kindes so stark von der sozialen Herkunft abhängt wie in Deutschland. Die Regierung stand unter Handlungsdruck und erfand das "Bildungs- und Teilhabepaket". Weil man den "Hartz IV"-Empfängern nicht mehr Bargeld in die Hand geben wollte, wurde beschlossen, deren Kindern zweckgerichtete Vergünstigungen zu gewähren - allerdings nur auf Antrag.

Idealer wären Ganztagsschulen

Seit dem 1. April 2011 können Langzeitarbeitslose und Geringverdiener für ihre Kinder Mittagessen in Kindertagesstätte, Schule und Hort beanspruchen, zum symbolischen Preis von einem Euro. Zehn Euro Zuschuss pro Monat gibt es für Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen oder für den Besuch einer Musikschule. Finanzielle Hilfen für Klassenfahrten und Ausflüge sind ebenso vorgesehen wie 100 Euro pro Jahr für Schulmaterial. Da alle Leistungen einzeln beantragt werden müssen, ergibt sich ein riesiger und teurer Verwaltungsaufwand für die Kommunen. Sie überprüfen zum Beispiel, inwieweit das Angebot eines Sportvereins tatsächlich kindgerecht ist. Subventionen von jährlich 433 Millionen Euro für die angebotenen Leistungen stehen Ausgaben von 160 Millionen Euro für Verwaltungskosten gegenüber.

Erstklässler holen sich in der Mensa der Regionalen Schule in Zingst ihr Mittagessen ab. (Foto: picture-alliance/dpa)
Mittagessen für einen Euro gehört zum BildungspaketBild: picture-alliance/dpa

Die Idealvorstellung sei, eines Tages flächendeckend Ganztagsschulen zu haben, wo selbstverständlich Mittagessen für alle Kinder angeboten werde und wo es Sport und Musik gebe, sagte Sozialministerin von der Leyen. "Solange das noch nicht so ist, muss der Bund in seiner Fürsorgeverpflichtung für die bedürftigen Kinder die Leistungen auf diese Weise ermöglichen." Das gilt besonders in jenen Kommunen, die selbst finanziell zu schwach sind, um kostenlose Leistungen für bedürftige Kinder anzubieten. Laut der vom Sozialministerium in Auftrag gegebenen Umfrage bewerteten die Eltern das Paket mit einer Note von 2,4, die Schüler sogar mit 1,9 recht positiv. Rund 90 Prozent der Befragten meinten demnach, dass sich der bürokratische Aufwand gelohnt habe. Auch der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, wies Kritik zurück: "Das Paket ist kein Flop und kein Bürokratiemonster."

Umstrittene Statistik

Einwände hagelt es seit Start des Bildungspakets nicht nur wegen der hohen Verwaltungskosten. Die oppositionelle SPD wirft Sozialministerin Leyen jetzt vor, sie "schöne" die Statistik, weil bereits die Inanspruchnahme einer einzigen Leistung pro Jahr ausreiche, um als Nutzer des Bildungspakets in die Erfolgsbilanz einzugehen. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband wirft der Regierung Zahlenspielerei vor, um ihr Bildungspaket als Erfolg zu verkaufen. So rechne man die Inanspruchnahme der 100 Euro für den persönlichen Schulbedarf mit in die Statistik ein. Die jedoch würden automatisch überwiesen und sage nichts über die Akzeptanz des Bildungspakets.

Gegen den Erfolg spreche eine eindeutige Zahl, bemerkt die Linkspartei: 2012 seien 280 Millionen Euro bereitgestelltes Geld nicht genutzt worden und würden wieder in den Bundeshaushalt zurückfließen. Es wäre besser gewesen, den bedürftigen Familien mehr Geld in die Hand zu geben, meinen Wohlfahrtsverbände und die Linkspartei, statt ein bürokratisches Monster zu schaffen, das viele Antragsteller abschrecke.