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Ukrainische Wirtschaftsflüchtlinge: Was tun?

Nils Zimmermann3. August 2015

Die Zahl ukrainischer Asylbewerber in Deutschland steigt. Viele sind Wirtschaftsflüchtlinge, die nicht politisch verfolgt wurden. Behörden fragen: Soll man sie abschieben - oder als Arbeitskräfte aufnehmen?

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Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlingsheim in Wolgast
Bild: DW/N. Zimmermann

Der Ingenieur Vitaliy Balushinskiy sitzt im Flüchtlingsheim in Wolgast, Kreis Vorpommern-Greifswald. Weiter nordöstlich kommt man in der Bundesrepublik kaum. Das Heim ist ein Plattenbau unter vielen. Hier sind 140 Asylbewerber beherbergt.

Der 28-jährige Balushinskiy ist einer von ihnen. Er sitzt am Tisch und erzählt, warum er nach Deutschland gekommen ist und was er sich von einem neuen Leben hierzulande erhofft.

Balushinskiy ist kräftig, hochgewachsen, trägt die dunkelblonden Haare kurz. Im Flüchtlingsheim wohnt er mit seiner Frau und der vierjährigen Tochter. Er hat in Lwow studiert, kommt aus der Westukraine.

Mecklenburg-Vorpommern Ukrainische Flüchtlingsfamilie Foto: Nils Zimmermann
Ingenieur Balushinskiy mit Frau und KindBild: DW/N. Zimmermann

Als in der Ostukraine vor anderthalb Jahren das Chaos ausbrach, war er in Donezk in der Verpackungsindustrie beschäftigt . "Mein Job war wegen des Krieges im Donbass verloren, ich ging zurück in die Westukraine. Dann sollte ich mich bei der ukrainischen Armee anmelden." Er wolle aber niemanden töten. Das ist die Basis seines Asylantrags.

Wenig Aussicht

Das deutsche Recht sieht aber nicht vor, dass man ukrainischen Wehrdienstverweigerern Asyl gibt - wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine "Kleine Anfrage" von Bundestagsabgeordnete der Partei "Die Linke" Mitte Juni feststellte.

Im ersten Halbjahr 2015 gab es nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BaMF) 2621 Asylanträge von Ukrainern, davon erhielten nur 5,4 Prozent Asylschutz.

Balushinskiy darf dennoch hoffen, länger in Deutschland bleiben zu dürfen, ohne abgeschoben zu werden. Denn jede Bewerbung muss einzeln bewertet werden. Seit dem 7. August 2014 werden Asylanträge ukrainischer Antragssteller "nachranging bearbeitet", teilte ein Pressesprecher des BaMF mit.

Bearbeitung von Asylbewerbungen von Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Eritrea haben Vorrang - vielen wird Schutz gestattet. Bewerbungen aus den europäischen Balkanstaaten werden auch seit kurzem rasch bearbeitet, weil sie weitgehend als aussichtslos gelten. Ukrainische Bewerbungen stehen hinten an.

Abschieben oder anwerben?

Mecklenburg-Vorpommern Seenlandschaft, Mönkebude Foto: Nils Zimmermann
Mecklenburg-Vorpommern am Stettiner Haff: Landschaftlich schön, wirtschaftlich noch ausbaufähigBild: DW/N. Zimmermann

Was Vitaliy Balushinskiy will? Arbeiten und mit seiner Familie in Sicherheit leben. Er mag Deutschland und die Deutschen - die Leute seien anständig, hilfsbereit, geben Kleider an das Flüchtlingsheim. Er hilft mit, die Kleiderspenden zu sortieren, versucht, sich nützlich zu machen.

Dafür, dass er erst seit acht Monaten im Land ist, spricht er recht gut Deutsch. Als er ankam, konnte er noch kein Wort. Er lernt gerne und möchte sich für die Arbeitswelt vorbereiten.

Milia Bentzien, die Leiterin des Flüchtlingsheims, in dem Familie Balushinskiy wohnt, sagt, sie dürfe sich in Asylverfahren nicht einmischen. Dies sei schade, denn sie habe viel Kontakt zu den Flüchtlingen und wisse, wer hierzulande "gut reinpassen würde." Ihres Erachtens würden Vitaliy Balushinskiy und seine Familie sehr gut reinpassen.

Viele Arbeitslose

Arbeiten darf ein Asylbewerber erst drei Monate nach seinem Aufenthaltsbeginn in Deutschland. Wenn der Asylbewerber dann ein Arbeitsangebot vorliegen hat, muss das Arbeitsamt zunächst prüfen, ob eine andere Person zuerst Anspruch auf den Job hat: etwa ein arbeitsloser deutscher Staatsbürger oder ein EU-Immigrant, oder ein Ausländer, der eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung besitzt. Asylbewerber stehen hinten an.

Im Kreis Vorpommern-Greifswald sind für Asylbewerber wie Balushinskiy die Aussichten auf Arbeit daher schlecht. Es gibt viele Arbeitslose, die zuerst Ansprüche hätten. Statistiken der Bundesarbeitsagentur zeigen, dass die Region im Juli 2015 eine Arbeitslosenquote von 11,6 Prozent hatte, dazu eine Unterbeschäftigungsquote von 15,2 Prozent.

Zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren im Juli 6,3 Prozent aller Arbeitnehmer arbeitslos, dazu 8,1 Prozent unterbeschäftigt. Also ist die Arbeitslosigkeit und Beinahe-Arbeitslosigkeit im Kreis Vorpommern-Greifswald etwa doppelt so hoch wie im bundesdeutschen Durchschnitt.

Fragwürdige Geschichte

Mecklenburg-Vorpommern Ukrainische Asylbewerberfamilie. Foto: Nils Zimmermann.
Familie B. erhofft sich in Deutschland bessere Arbeitsbedingungen als in der Ukraine, in Polen oder Russland.Bild: DW/N. Zimmermann

Eine andere ukrainische Familie ist "dezentral" in einer Plattenwohnung in der kleinen Gemeinde Tutow untergebracht. Eine etwa 60 Jahre alte Ukrainerin und ein Ehepaar mit einer fünfjährigen Tochter.

Die Flüchtlingsbetreuerin sagt auf dem Weg zum Interviewtermin, die russischsprachige Familie B. wäre aus Odessa. Die Familie gibt an, politisch verfolgt zu sein, weil sie den gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch unterstützte. Außerdem seien sie diskriminiert worden, weil sie angeblich jüdische Vorfahren hatten.

Die Betreuerin sagt allerings, sie glaube nichts von dieser Geschichte, außer dass die Familie aus Odessa stammt. "Das sind reine Wirtschaftsflüchtlinge," sagt sie. Die Betreuerin ist selber Ukrainerin, kennt die Lage in der alten Heimat. Es gebe keine nennenswerte Diskriminierung von Juden und in der Westukraine auch keine Verfolgung von Menschen, die einst für Janukowitsch waren, sagt sie.

Der Mann hatte in Polen und in Russland auf dem Bau gearbeitet. Die Arbeit sei aber stets schlecht bezahlt, unsicher und kurzfristig gewesen. Er wünsche sich geregelte Verhältnisse. Deswegen ist er nach Deutschland gekommen. "Ich will eigentlich kein Geld vom Staat, ich will nur die Erlaubnis, hier arbeiten zu dürfen", sagt er auf Russisch. Die Betreuerin übersetzt.

Mecklenburg-Vorpommern Syrische Asylbewerberfamilie. Foto: Nils Zimmermann
Seit wenigen Wochen in "MeckPomm" zu Hause: Eine syrische Flüchtlingsfamilie aus Homs - eine vom Krieg zerschlagene Stadt.Bild: DW/N. Zimmermann

Asylbewerber auf dem Land

"Die aktuelle Lage vom 20. Juli 2015: Es gab 415 Asylbewerber im Kreis Vorpommern-Greifswald," sagt Nadine Hoffmann, Integrationsbeauftragte der Stadt Greifswald. Außerdem gebe es 85 Ausländer, deren Status als Asylantberechtigter genehmigt wurde. Die dürfen sich beim Jobcenter melden, Arbeit suchen und Arbeitslosengelder beziehen wie jeder Bürger. Jeden Monat kommen neue Flüchtlinge hinzu.

Bildergalerie "Wie wohnen Flüchtlinge in Deutschland" Sigmar Gabriel n- Foto: Bernd Wüstneck/dpa
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war auch zu Besuch im Flüchtlingsheim von WolgastBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Sie werden in Deutschland in erster Linie von den Landkreisen und Kommunen betreut - und auf deren Kosten untergebracht. Manche Bürger im Kreis Vorpommern-Greifswald zeigen sich denn auch mürrisch, wenn das Thema "Asylanten" aufkommt.

Wohnungen und neue Möbel

"Wir müssen jeden Tag arbeiten gehen," sagt eine Frau um die 30, die in der kleinen Gemeinde Tutow "in der Platte" wohnt, in einem Hochhaus, in dem auch mehrere Flüchtlingsfamilien untergebracht sind. "Und die kriegen eine Wohnung geschenkt mit neuen Möbeln dazu." Sie will nicht namentlich zitiert werden - wie andere auch nicht.

"Ein heikles Thema", sagt ein Vertriebsarbeiter im Elektrohandel, der mit zwei Kumpels während einer Zigarettenpause auf dem Marktplatz in Anklam steht. "Aber ich denke schon, dass man Mitleid haben und Solidarität zeigen muss, wenn manche aus einem Kriegsgebiet hierher kommen." "Es gibt aber auch viele Bürger, die hier arbeitslos sind und selber Sozialgeld vom Staat beziehen", sagt sein Kumpel. "Wer soll das alles bezahlen? Am Ende wir."

Im Yachthafen in Mönkebude sitzen vier Menschen, allesamt Ende 50, zum Sonnenuntergang im Segelboot am Steg. Wie sehen sie das mit den Flüchtlingen? Sie möchten eigentlich nichts dazu sagen. Aber dann platzen die Wörter doch noch heraus:

"Die einen arbeiten 50 Jahre und kriegen eine kleine Rente, die anderen kommen her und kriegen eine Wohnung geschenkt und dazu gut was auf die Hand," sagt der Wortführer der kleinen Segelgruppe. "Und nun wünsche ich Ihnen einen guten Abend."