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"Traumziel" Abu Ghraib

Christiane Wolters22. Mai 2005

Ein Belgier bereist den Globus. Sein Ziel: Die Gefängnisse der Welt. Dabei hat Jan de Cock etwas gelernt. Der Zustand der Gefängnisse ist oft ein Gradmesser der Demokratie.

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Überfülltes Gefängnis: ähnlich war der Ort, an dem der Belgier de Cock eine Nacht verbrachteBild: dpa - Bildfunk

"Das erste Gefängnis, in dem ich die Nacht hinter Gittern verbracht habe, war in Kigali in Ruanda. Ein Gefängnis, das für 2000 Menschen gebaut ist, aber wir waren da mit 7000", sagt Jan de Cock. Was für normale Urlauber wie ein Alptraum klingt, ist für den Belgier die Erfüllung eines Traums. Er will da rein, wo andere raus wollen: in die Gefängnisse dieser Welt.

Seit fast 20 Jahren lässt ihn das Schicksal der von der Gesellschaft oft vergessenen Häftlinge nicht mehr los. Im hoffnungslos überfüllten Gefängnis in Ruanda hat jeder Häftling gerade mal 40 Zentimeter Platz. "Unter den Betten, da wo man zu Hause seine Pantoffeln abstellt, lagen noch drei bis vier Gefangene", erzählt de Cock. "Ich erinnere mich, dass ich nachts wach wurde, weil etwas durch mein Haar gekrabbelt ist." Jan de Cocks erste Begegnung mit einer Ratte.

Der Belgier will nicht missverstanden werden. Er sei ein klarer Verfechter von Gerechtigkeit und dafür, dass Verbrecher bestraft werden. "Aber es steht mir nicht zu, uns nicht zu, diese Männer und Frauen, Jugendliche und Kinder noch ein zweites oder drittes Mal zu verurteilen", erklärt er. Er möchte ein anderes Licht auf die Menschen in Gefängnissen werfen, schließlich seien die auch nur Menschen "wie du und ich".

In 66 Knästen um die Welt

Es war nicht einfach, die Verantwortlichen dazu zu bringen, Jan de Cock wie einen Häftling für ein paar Tage und Nächte in ihre Gefängnisse zu lassen. Drei Jahre hatte sich der 40-Jährige vorbereitet, hunderte von Briefen an Botschaften, Ministerien und Gefängnisdirektoren geschrieben. 66 Knäste hat Jan de Cock während seiner einjährigen Weltreise "besucht", auf allen fünf Kontinenten, in reichen und armen Ländern, in Demokratien und Diktaturen.

Gefängnis in Afrika
Das Gefängnis Cotonou im westafrikanischen Benin zieht Jan de Cock jedem US-Knast vorBild: dpa

"Die Demokratie einer Gesellschaft erkennt man an der Art, wie sie mit ihren Gefangenen umgeht", zieht er Bilanz. Dass Demokratien nicht immer automatisch menschlicher mit ihren Häftlingen umgehen als Diktaturen, hat Jan de Cock bei seiner Reise durch die Gefängnisse dieser Welt immer wieder erlebt. Vor die Wahl gestellt, ob er lieber nochmal in einem sauberen US-Gefängnis oder in dem überfüllten Knast von Coutonou, wo sich 250 Menschen in einem Raum für 50 drängen, nächtigen würde, fiele seine Wahl überraschend aus: Coutonou. "Denn da, wo Menschen noch zusammen sein können", erklärt er, "da halten sich die Menschen gegenseitig am Leben, auch wenn die Umstände schrecklich sind."

Die Häftlinge der Welt ähneln sich

Isolation ist die schlimmste Strafe - besonders krass geht man in Japan mit den Häftlingen um. Dort wird den Häftlingen sogar vorgeschrieben, in welcher Haltung sie schlafen müssen. Sprechen dürfen sie nicht, den Wärtern in die Augen schauen auch nicht. In Skandinavien versucht man hingegen, die Häftlinge so gut wie möglich auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten. In lateinamerikanischen Gefängnissen war Jan de Cock von der extremen Korruption überrascht. Doch trotz aller regionalen Unterschiede - die Häftlinge ähneln sich in vielem.

Am meisten betroffen gemacht hat ihn die enorme Verlassenheit der Menschen. Etwa die Frau im Gefängnis von Lima in Peru. Als sie nach 27 Jahren endlich freigelassen wurde, stand sie drei Tage später heulend vor der Gefängnistür und wollte wieder herein. Draußen hatte sie niemanden mehr.

Buchcover Jan de Cock Hotel hinter Gittern
Jan de Cocks Knasttagebuch: "Hotel hinter Gittern" ist im Kunth-Verlag erschienen

In den zwölf Monaten, die er in Gefängnissen rund um die Welt verbracht hat, hat Jan de Cock viele solcher Geschichten gehört. Häufig war er für die Häftlinge der erste Besuch seit Jahren, der erste, der sich für sie interessiert hat. "Je mehr man in diese Welt eintaucht und Beziehungen aufbaut, je mehr entdeckt man, dass da auch schöne Dinge passieren", sagt er. So habe er gelernt, dass die Menschen, die von der Gesellschaft verurteilt sind, mehr sind als die Summe der Fakten. "Und dass diese Menschen uns auch noch was beibringen können über Vertrauen, über Geduld und Solidarität", so de Cock. "Und dann sieht man, dass die Gefangenen als Menschen gut sind."

Ein deutscher Knast fehlt ihm noch

Über seine Gefängnisweltreise hat Jan de Cock ein Buch geschrieben: "Hotel hinter Gittern". Damit will er mehr Menschen für das Schicksal von Häftlingen sensibilisieren. Und seine Reise geht weiter, denn es gibt noch einige Gefängnisse, die auf seiner Wunschliste stehen. So würde er gerne mal einen Blick hinter die Kulissen von Guantánamo Bay werfen. Oder von Abu Ghraib. "Ja, und auf meiner Liste stehen auch noch immer die deutschen Gefängnisse." Und mit großem Vergnügen würde er gerne mal einen deutschen Knast von innen sehen.