Sommerlicher Sklavenjob
26. Mai 2009Als ich mich dafür entschieden habe, einen Saisonjob in einem Vier-Sterne-Hotel anzunehmen, hatte ich davon eine genaue Vorstellung: Ich habe erwartet, die Hälfte meines Arbeitstages mit einfacher Arbeit zu verbringen. Die restliche Zeit würde ich mich am Strand in der Sonne aalen. Aber anstelle von Meereswellen höre ich jetzt die ganze Zeit die Geschirrspülmaschine. Ich arbeite als Kellnerin, das heißt, dass ich die Tische im Hotelrestaurant eindecke. Wenn ich die Frühstücksschicht habe, arbeite ich morgens von viertel vor sieben bis elf Uhr, wenn ich Spätschicht habe, arbeite ich von sechs Uhr abends bis viertel nach zehn. Allerdings nur, falls ich einmal pünktlich Feierabend mache.
Sobald ich mit meiner Schicht fertig bin, kann ich es kaum erwarten, aus meiner Polyesteruniform heraus zu kommen. Und bis ich dann gegessen habe, meine Uniform gebügelt ist und ich mich vielleicht sogar noch kurz hingelegt habe, ist es entweder zu heiß für den Strand oder bereits dunkel.
Alptraum Sklavenjob
Innerhalb einer Woche hat sich mein Traum vom süßen Leben am Pool in einen Alptraum verwandelt. Ich kann kaum noch laufen, weil meine Füße vom ewigen Herumstehen wehtun. Ich habe überall Schmerzen, aber Mitarbeiter, die einen freien Tag wollen, sind hier auf Kreta nicht gern gesehen. Ich arbeite für 20 Euro pro Tag. Das ist ein Bruchteil von dem, was ich in Deutschland, England oder sogar Italien für die gleiche Arbeit bekommen würde.
Aber ich bin damit auf Kreta keineswegs allein: Auch im benachbarten Restaurant von Kostas Peponakis sehe ich viele junge Westeuropäer kellnern. "Es ist immer noch besser, hier ein Sklave zu sein als woanders", sagt der Restaurantbesitzer. "Wenn man ein Sklave in Norditalien oder Süddeutschland ist, dann ist man schlimmer dran. Denn hier kann man wenigstens für zehn, 15 Minuten an den Strand gehen, braun werden und eine nette Frau oder einen netten Mann kennen lernen."
Arbeit sieben Tage die Woche
Das ist die Theorie, in der Praxis allerdings sieht es bei mir und auch bei meiner Freundin Julie aus England etwas anders aus. "Man hat überhaupt keine Zeit um an den Strand zu gehen oder abends zu feiern, weil man einfach total übermüdet ist", klagt Julie. "Es ist nicht so, wie man es sich vorstellt. Wenn man Nachtschicht hat, dann geht man nicht auf Partys, weil man jeden Abend bis morgens um drei arbeitet."
Abbey aus Nordirland arbeitet in der Nachtschicht und ist ihrem Traum ein bisschen näher gekommen: Sie hat tagsüber frei und mixt nachts Cocktails in einer Bar. "Ich schaue trotzdem dauernd auf die Uhr", sagt sie. "Ich kann nicht einfach am Strand herumliegen, so lange ich will. Ich muss immer rechtzeitig gehen und mich für die Arbeit fertig machen und dann pünktlich anfangen zu arbeiten." Allerdings sei es für sie nicht ganz so schlimm, da die Arbeit erst um sieben Uhr abends anfange. "Aber wir arbeiten auch die ganze Nacht, sieben Tage die Woche."
Nur mit Rückflugticket
Lange Arbeitszeiten und kaum Pausen sind auf Kreta die Regel. Doch dies wird von den Arbeitgebern der Insel nicht an die große Glocke gehängt. Tatsächlich nutzen sie den Mythos “Urlaub und Arbeit” als Ausrede, um geringe Löhne zu zahlen. Laut Gesetz sind die Gehälter für Einheimische und Ausländer gleich hoch. Aber für ein paar zusätzliche Euro treffen fast alle Saisonarbeiter eine Sonderabmachung mit ihren Arbeitgebern, nämlich sieben Tage die Woche täglich zehn Stunden zu schuften. Wenn sie sich ihren Lohn bar auf die Hand auszahlen lassen, verdienen sie ein bisschen mehr als sonst, etwa 30 Euro am Tag. Denn durch die Barauszahlung sparen die Arbeitgeber Kosten wie Sozialabgaben und Versicherung.
Saisonarbeiter wie Julie aus England kommen kaum des Geldes wegen nach Kreta. Besonders viel Bräune hat sie nicht abbekommen, ihre tiefen Augenringe stechen dafür umso mehr hervor. "Wahrscheinlich verdient man gerade genug, um sich über Wasser zu halten. Aber es reicht nicht, um etwas anzusparen. Wenn man hierher kommt, sollte man sich vergewissern, dass man sein Rückflugticket nach Hause schon dabei hat. Denn sonst könnte es sein, dass man es sich am Ende der Saison nicht mehr leisten kann", sagt sie.
Dem kann ich nach meinen eigenen Erfahrungen als Kellnerin nur zustimmen. Zwei Wochen habe ich es zwischen labbrigen Cornflakes, verkrümelten Böden und schmutzigem Geschirr ausgehalten - dann aber habe ich das Handtuch geworfen.
Autorin: Stephanie Raison
Redaktion: Andreas Ziemons/Julia Kuckelkorn