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Trauer unter Polizeiaufsicht

Mu Cui12. Mai 2013

Am 12. Mai 2008 bebte in Chinas südwestlicher Provinz Sichuan die Erde. Knapp 90.000 Menschen starben, darunter viele Kinder in eingestürzten Schulen. Auch fünf Jahre danach finden ihre Eltern keine Ruhe.

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Vor fünf Jahren bebte in Sichuan die Erde. (Foto: China Photos/Getty Images)
Vor fünf Jahren bebte in Sichuan die ErdeBild: China Photos/Getty Images

"Niemand darf über die mangelhaft errichteten Schulgebäude reden, als ob das nie geschehen wäre." Wang Qinghua ist fünf Jahre nach dem Beben noch empört. Sie ist die Frau von Tan Zuoren, einem bekannten Bürgerrechtler. Er hatte nach dem Erdbeben 2008 bauliche Mängel an Schulgebäuden für die hohe Zahl getöteter Kinder mit verantwortlich gemacht. 2010 wurde Tan zu fünf Jahren Haft verurteilt. Offizieller Grund: Angebliche Untergrabung der Staatsgewalt.

Nach offiziellen Angaben wurden genau 69.227 Menschen durch das Erdbeben getötet, 17.824 Menschen werden vermisst. Knapp fünf Millionen Menschen wurden obdachlos. Obwohl rund 7000 Schulgebäude eingestürzt sind, beziffern offizielle Quellen die Zahl der getöteten Schüler auf nur 5.335.

Tan entlarvt die Mitverantwortung der Behörden für Baupfusch und Korruption 2008 und wurde zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. (Foto: Tan)
Zu Haftstrafe verurteilt: Tan ZuorenBild: amnesty international

Viele Chinesen bezweifeln diese Zahlen. Sie vermuten, die Behörden hätten die Todeszahl nach unten manipuliert, um die tödlichen Folgen der baulichen Mängel an den Schulgebäuden zu verstecken. Der schwerwiegende Verdacht: Beamte sollen beim Bau der Schulen Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet und minderwertige Materialien eingesetzt haben.

Behörden verschärften Baubestimmungen beim Wiederaufbau

Nach dem verheerenden Erdbeben 2008 haben die Behörden die Baubestimmungen im Sinne der Bebensicherheit erhöht. Neubauten müssen seither für Erdbeben bis Stärke 8 ausgelegt sein.

Erst kürzlich mussten die neu gebauten Gebäude ihre Standfestigkeit unter Beweis stellen. Am 20. April 2013 erschütterte erneut ein Erdbeben Sichuan - mit einer Stärke von 7,0. Rund 200 Menschen wurden getötet. Nach Behördenangaben haben die meisten Neubauten dem Beben stand gehalten. In der besonders betroffenen Zone seien 3,8 Prozent der nach 2008 gebauten öffentlichen Gebäude gravierend beschädigt. Im Vergleich dazu seien 39,6 Prozent der vor 2008 errichteten Häuser eingestürzt, sagte He Jian, Chef des Bauamts der Provinz Sichuan in einer Pressemitteilung.

Eine Kunstinstallation aus Dokumenten und Listen mit knapp 5200 Namen der Opfer des Erdbebens in Sichuan 2008 von Ai Weiwei. Er entlarvt seit Jahren die Mitverantwortung der Behörden für Baupfusch und Korruption. (Foto: Installation Cong/Aiweiwei auf der Art Hongkong 2012)
Eine Kunstinstallation aus Dokumenten und Listen mit knapp 5200 Namen der Opfer des Erdbebens in Sichuan 2008 von Ai Weiwei. Er entlarvt seit Jahren die Mitverantwortung der Behörden für Baupfusch und Korruption.Bild: Rainer Traube

Für die Eltern der beim Beben vor fünf Jahren gestorbenen Kinder ist das ein schwacher Trost. Viele klagen über großen Druck seitens der Behörden. Sie werden von der Polizei überwacht, zu Jahrestagen unter Hausarrest gesetzt, manchmal sogar festgenommen. Öffentliches Trauern ist verboten.

Nicht Vergessen

Doch sie bekommen Unterstützungen von Prominenten. Der Künstler Ai Weiwei startete noch im Katastrophenjahr 2008 eine Kampagne, um die genaue Zahl der beim Erdbeben getöteten Schüler zu ermitteln. Dass kurz vor dem ersten Jahrestag der Katastrophe die Behörden die Zahl von 5335 getöteten Schülern veröffentlichten, werten viele als Reaktion auf die Bemühungen Ai Weiweis. Mit der Unterstützung der Angehörigen der Erdbebenopfer, mit der hartnäckigen Forschung nach den Ursachen für den Einsturz von 7000 Schulgebäuden machte sich Ai die chinesischen Behörden zum Feind: War der Mitgestalter des Olympiastadions in Peking noch 2008 mit dem chinesischen Preis für zeitgenössische Kunst ausgezeichnet worden, wurde Ai Weiwei im Frühjahr 2011 für drei Monate von den Behörden an einen unbekannten Ort verschleppt, wegen eines angeblichen Steuerdeliktes. Seit seiner Freilassung steht er in Peking unter Hausarrest.

Der Bürgerrechtler Tan Zuoren machte sich mit einer unabhängigen Untersuchung unbeliebt: Für mindestens die Hälfte der getöteten Schüler und Lehrer sei Pfusch beim Schulbau verantwortlich. Seine Frau Wang Qinghua darf ihren Mann im Gefängnis einmal im Monat besuchen. Sie sagte der Deutschen Welle, ihrem Mann geht es derzeit "noch okay". Seit Tan zu der fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, bekommt Wang Qinghua häufig Besuch von Eltern, die vor fünf Jahren ihre Kinder verloren haben. Sie möchten sich bei dem Ehepaar für seine Aufklärungsarbeit bedanken. Doch Wang Qinghua wehrt ab. "Sie sind die eigentlichen Opfer", sagt Wang zu den Besuchern. Doch die Opfer dürfen auch fünf Jahre nach der Katastrophe nicht einmal öffentlich der toten Kinder gedenken.

Ai Weiwei startete eine Kampagne und ermittelte die genauen Zahlen der getöteten Schüler. (Foto: AFP/GettyImages)
Ai Weiwei startete eine Kampagne und ermittelte die genauen Zahlen der getöteten SchülerBild: AFP/GettyImages