Systematische Folter in Afghanistan?
11. Oktober 2011Die Vereinten Nationen befragten 379 Häftlinge in 22 Provinzen. Das Ergebnis ist schockierend: In zahlreichen Gefängnissen des afghanischen Geheimdienstes NDS und der afghanischen Polizei würde systematisch gefoltert. Dazu gehörten massive Drohungen, Schläge mit Gummischläuchen und Stromkabeln, Elektroschocks und das Herausreißen von Zehnägeln. Nach UN-Angaben sind die Verantwortlichen bislang nicht zur Rechenschaft gezogen worden.
Regierung weist die Vorwürfe zurück
Die afghanische Regierung reagiert empört auf den Bericht. Der afghanische Innenminister Bismillah Mohammadi zeigt kein Verständnis: "Die afghanischen Sicherheitsbehörden bestreiten diesen Bericht. Wir haben bisher immer den Weg für internationale und nationale Organisationen, die unsere Anstalten beobachten, frei gemacht." Doch Menschenrechtsorganisationen und auch die Vereinten Nationen hätten bisher nie solche Vorwürfe gegen die Situationen in afghanischen Haftanstalten erhoben, so der Innenminister weiter.
Auch die unabhängige zentralafghanische Menschenrechtskommission steht dem UN-Bericht kritisch gegenüber, selbst wenn ihr Vorsitzender Shamsullah Ahmadzai einräumt, dass Folter eine lange Tradition in Afghanistan hat: "In unseren Gefängnissen gibt es Anzeichen für Folterungen. Aber im Vergleich zur Vergangenheit haben sie stark abgenommen. Der Bericht der Vereinten Nationen besagt, dass in Sicherheitstrakten Folter sozusagen zum System gehören sollen. Ich denke nicht, dass dieser Bericht der Wahrheit entspricht."
Schwerverbrecher werden oft freigekauft
Im Gegensatz zu den afghanischen Behörden nimmt die von der NATO geführte Internationale Afghanistan-Schutztruppe ISAF den UN-Bericht sehr ernst. Sie will vorläufig keine Gefangenen mehr an eninge afghanische Haftanstalten auslieferm. Afghanische Experten vermuten jedoch, dass der eigentliche Grund ein anderer sei. Die ISAF vertraue den afghanischen Behörden nicht, weil diese in weiten Bereichen korrupt seien. Durch illegale Geldtransfers oder Familieninterventionen kommen ISAF-Gefangene aus afghanischen Gefängnissen oft schnell wieder frei.
General Mohammad Naim Momin vom Afghanischen Geheimdienst NDS kennt diese Praxis aus eigener Erfahrung: "Erst vor Kurzem bat mich einer unserer Gefängnisleiter, einen der Häftlinge, der für viele Selbstmordattentate verantwortlich gemacht wird, freizulassen und Gnade walten zu lassen. In Zukunft verbitte ich mir Wünsche dieser Art, denn sie sind untragbar. Es gibt genug Beweise, dass dieser ein Schwerstverbrecher ist."
Aber immer wieder gelinge es einflussreichen Fürsprechern, inhaftierte Verbrecher freizukaufen, beklagt Momin. Auch ihn selbst hätten Stammesälteste und Klanmitglieder unter Druck gesetzt.
Mangelndes Vertrauen
Mit der Veröffentlichung dieses UN-Berichts haben die westlichen Staaten ihr tiefes Misstrauen gegenüber der afghanischen Justiz ausgesprochen. Die ISAF-Truppen haben somit einen Grund dafür, ihre Gefangenen nicht mehr an die afghanischen Sicherheitsbehörden auszuliefern. Noch kontrollieren die USA die riesige Haftanstalt in der ostafghanischen Provinz Parwan. 2012 sollte sie eigentlich an die afghanischen Behörden übergeben werden. Doch jetzt wurde die Übergabe bis 2014 verschoben.
Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi
Redaktion: Ratbil Shamel/Hao Gui