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Studiogast: Prof. Helmut Schwarz, Präsident der Humboldt-Stiftung

Kiron Kreuter9. Oktober 2011

Mit unserem Studiogast sprechen wir über den Nobelpreis, die geehrten Wissenschaftler und ihre Arbeit.

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DW-TV: Professor Helmut Schwarz, Sie sind selbst Chemiker. Können Sie uns erklären, was diese Quasikristalle, für deren Entdeckung es jetzt einen Nobelpreis gab, eigentlich sind?

Helmut Schwarz: Versuchen Sie einmal, eine Fläche mit Kacheln zu bedecken. Das gelingt nur mit Dreiecken, Vierecken und mit Sechsecken, nicht mit Fünf-, nicht mit Siebenecken. Und Shechtman hat gezeigt, es geht auch mit Fünf- und mit Siebenecken. Er ist ein Revolutionär. Er hat ein grundlegendes Dogma umgestoßen und keiner glaubte ihm. Er ist sogar entlassen worden für das, was er behauptet hat. Aber alle wissen heute, er hat eine Revolution eingeleitet, weil er zeigen konnte, es gibt sogenannte nicht-periodische Muster, wie es sie ja auch in der Kunst, in der Mathematik gibt. Grandios!

DW-TV: Aber das ist ja unglaublich! Er, der Nobelpreisträger wurde entlassen für das, wofür wir ihn heute auszeichnen.

Helmut Schwarz: Ja, sein Chef hat ihm ein Buch hingelegt, hat gesagt, schau mal in das Buch hinein, das, was du sagst, ist Unsinn. Aber er hat daran geglaubt und er konnte den Beweis eben später führen. Andere haben ihm geholfen. Die Mathematiker haben ihm geholfen und heute weiß jeder, es gibt Quasikristalle.

DW-TV: Man entdeckt immer wieder einige neue Quasikristalle. Gibt es dafür eine Anwendung?

Helmut Schwarz: Es wird vermutet, dass in einem schwedischen Stahl, der ganz besondere Eigenschaften hat, es die Quasikristalle sind, die diese besonderen Eigenschaften vermitteln. Ich weiß es nicht. Wie auch immer, die Entdeckung ist grundlegend großartig.

DW-TV: Professor Helmut Schwarz, Sie sind Präsident der Humboldt Stiftung. Die 3 diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger sind alle einmal von der Humboldt Stiftung gefördert worden. Das heißt, Sie müssen eigentlich wissen, was man mitbringen muss, um einmal einen Nobelpreis zu bekommen. Was sind das denn für Charaktereigenschaften?

Helmut Schwarz: Es sind Talente, es sind neugierige Leute, es sind auch hier Revolutionäre. Es sind Personen, die brennen für etwas, die oftmals Wege gehen, die andere nicht bereit sind zu gehen. Leidenschaft muss dabei sein. Leidenschaft schwierigen Fragen nachzugehen, die manche als unwichtig ansehen.

DW-TV: Und man muss wahrscheinlich auch richtig viel Glück haben.

Helmut Schwarz: Glück gehört dazu, aber es gehört auch eine Umgebung mit dazu, die sie fördert. Wir versuchen in der Humboldt Stiftung, diese Umgebung zu ermöglichen, indem wir sagen, wir setzen auf Talente und Köpfe, nicht auf Programme. Auf Talente und Köpfe, auf Außenseiter. Und die Statistik gibt uns Recht. Von den 47 Nobelpreisträgern der Humboldt Stiftung haben wir 44 ausgezeichnet mit Forschungspreisen lange bevor Stockholm auf sie aufmerksam wurde.

DW-TV: Sie wirken auch sehr leidenschaftlich, interessiert. All die Eigenschaften haben Sie auch. Sie sind international führender Chemiker. Warum haben Sie keinen Nobelpreis bekommen?

Helmut Schwarz: Das müssen Sie Stockholm fragen.

DW-TV: Vielleicht gucken die ja unsere Sendung. Es gab ja viel Kritik auch an den Nobelpreisen. Dass heutzutage die Fächer, die dort belohnt werden, nicht mehr wirklich up to date sind. Es fehlen beispielsweise Computerwissenschaften. Teilen Sie diese Kritik?

Helmut Schwarz: Ja und nein. Der Nobelpreis für Physiologie und Medizin enthält im Grunde Gebiete aus den ganzen Lebenswissenschaften: Biochemie, Biologie, Biophysik. Also der Bereich ist abgedeckt. Was wirklich fehlt, Sie haben es erwähnt, sind Computerwissenschaften, ist Mathematik, sind die ganzen Bereiche Geistes- und Sozialwissenschaften. Aber im Großen und Ganzen sollte man sich nicht an die Namen klammern. Es werden ja auch hier wiederum die Talente identifiziert. Conrad Lorenz hat einen Nobelpreis für Physiologie und Medizin bekommen und er war Verhaltensforscher.

DW-TV: Anfang Oktober ist dann immer das große Kribbeln in der Wissenschaftlergemeinde?

Helmut Schwarz: Einige, glaube ich, werden krank darüber. Einige reden wirklich vom „nobel award disease“.

DW-TV: Haben Sie vielen Dank, Herr Schwarz.

(Interview Ingolf Baur)