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Sport als sozialer Fahrstuhl für Frankreichs Einwandererkinder

Margit Hillmann22. August 2008

Von den Medaillen, die Frankreich bei den Spielen in Peking gewonnen hat, wurden auffallend viele von französischen Einwandererkinder afrikanischer oder arabischer Herkunft gewonnen, für die Sport ein Sprungbrett ist.

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Hürdenläufer
Einwandererkind Mekhissi-Benabbad gewann die Silbermedaille im 3000-Meter HürdenBild: AP

Mahiedine Mekhissi-Benabbad gewann die Silbermedaille im 3000-Meter Hürdenlauf,  Vencelas Dabaya-Tientcheu Silber im Gewichtheben, im Mannschaftsfechten gewannen drei Spitzenfechter von den französischen Antillen die goldene Medaille.

Werbeverträge für die große Karriere

Hürdensprinter Ladji Doucouré fällt (27.08.2004/AP)
Hürdensprinter Ladji Doucouré fällt normalerweise bei keinem WettkampfBild: AP

Viele dieser Sportler stammen aus dem 93. Departement, den berüchtigten Pariser Banlieues von Seine-Saint-Denis. Dort befindet sich auch der erfolgreichste Leichtathletik-Club Frankreichs.

Doch Frankreichs Einwandererkinder haben sich nicht nur im Sport emanzipiert, sie nutzen den Hochleistungssport als Sprungbrett für den sozialen Aufstieg. Sie werden von Politikern hofiert, bekommen neuerdings Werbeverträge, schreiben ihre Biographie oder werden für Sportereignisse als Kommentatoren von den französischen Medien angeheuert.

Sport bei Wind und Wetter

Den jungen Schwarzen, die in Bondy auf einem kleinen Bolz-Platz zwischen Wohntürmen Fußball spielen, macht Regenwetter und Kälte nichts aus. Einer von ihnen ist der 23-jährige Jonathan, der im Kundendienst einer französischen Telefongesellschaft arbeitet. Es ist noch nicht lange her, erzählt er, da habe er noch von einer Karriere als Fußballer geträumt.

Jonathan war in einem guten Verein und wurde professionell trainiert mit allem was dazu gehört. Letztendlich hat es zwar doch nicht gereicht, aber geplant war es. Und warum sollte der 23-Jährige auch nicht von einer Sportlerkarriere träumen? Schließlich kommen viele französische Spitzensportler aus seinem Vierteln.

Träume von der großen Karriere

Afrikanische Familie in Paris (10.August 2006/AP)
In den Vororten sind die meisten Familien EinwandererfamilienBild: AP

Jonathan zählt Fußballer auf, Boxer und Leichtathleten, darunter Muriel Hurtis. Die beste 200 Meter Sprinterin Frankreichs, sagt er stolz, ist hier in Bondy aufgewachsen und wohnt jetzt nebenan in Bobigny. Muriel Hurtis oder der Hürdensprinter Ladji Doucouré, dessen Eltern aus Mali und dem Senegal nach Frankreich eingewandert sind und der ebenfalls in einem Pariser Vorortghetto aufgewachsen ist.

Diese Sportler sind nicht nur der Stolz der Vorstädte, sie sind auch Vorbilder. Für Jonathan haben sie mit ihren Karrieren gezeigt, dass man es zu etwas bringen kann, wenn man ernsthaft arbeitet und an seinen Erfolg glaubt. Natürlich würden sie damit der Jugend in den Vorstädten ein gutes Beispiel geben.

Vom Verlierer zum Supersportler

Der 19-jährige Ibrahim glaubt, dass im Gegenzug die Gesellschaft die Einwandererkinder aus Vororten in einem anderen Licht sehe: als sympathische Gewinner, statt als ewige Verlierer, die Autos anzünden und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. "Es sind Helden, alle Franzosen mögen sie und ihre Leistung wird anerkannt. Und vor allem hört man ihnen zu", sagt Ibrahim. Und das entschärfe ein bisschen das negative Bild, dass viele Franzosen von den Bewohnern der Vorstädte hätten.

Einige Kilometer weiter, im Pariser Vorort Patin, befindet sich direkt neben der Stadtautobahn ein kleines Stadion. Hier kommen Sportler aus den umliegenden Vierteln täglich zum Trainieren, wie zum Beispiel Claudine. Die große, schlanke Sportlerin läuft die Treppen in den Zuschauertribünen auf und ab, um ihre Kondition zu stärken. Ihre Disziplin ist der Weitsprung.

Weitsprung an die Spitze der Gesellschaft

Die französische Überseeprovinz Martinique ist eine Vulkaninsel
Claudines Vater ist in sehr ärmlichen Verhältnissen auf Martinique aufgewachsen

Die junge Leichtathletin aus Pantin will vom Sport leben können, an internationalen Leichtathletikwettkämpfen und "natürlich", sagt sie, an den nächsten Olympischen Spielen in London teilnehmen. Den Ehrgeiz habe sie von ihrem Vater, der in sehr ärmlichen Verhältnissen auf der Antilleninsel Martinique aufgewachsen ist. Ihr Vater war es auch, der sie schon im Vorschulalter beim Sportverein eingeschrieben hat.

Sport zu machen ist besonders für Kinder und Jugendliche sinnvoll, die in den Pariser Vororten aufwachsen, ist Claudine überzeugt, die meisten Familien seien Einwandererfamilien und einige kämen mit der Erziehung ihrer Kinder überhaupt nicht zurecht. Deswegen würden die Kinder ermuntert, Sport zu treiben. Das sei gut für den Geist, fördere die Intelligenz und Disziplin. Und die Jugendlichen lernten, dass man im Leben kämpfen müsse.

Arbeitslos trotz Studium

Der 20-jährige Lamine ist Hobbybasketballer und Designstudent. Er glaubt, dass Sport den Kindern in den Einwanderervierteln gut tut. Obwohl er stolz ist, dass so viele Hochleistungssportler aus den französischen Einwanderervierteln kommen, ärgert es ihn auch, weil es die gängigen Klischees bestätige.

"Im Sport ist es wie in der Musik: In diesen Berufen werden wir akzeptiert und haben den Zugang", sagt er. Aber es gäbe viele andere Berufe, da versuchten es viele Jugendliche aus den Einwanderervierteln erst gar nicht, weil sie es nicht wagten. "Die Leute sagen sich hier oft, dass sie für bessere Berufe lange studieren müssen und hinterher trotzdem keine Arbeit in diesen Berufen bekommen", erzählt Lamine.

Die Erfahrung, dass Einwandererkindern längst nicht alle Türen offen sind, hat auch der französische Hürdensprinter Ladji Doucouré gemacht. In einem Zeitungsinterview erzählt der Sportler, dass sein Schicksal schon besiegelt war, als er die Schule in der Trabantenstadt Evry bei Paris noch nicht einmal beendet hatte. "Von 35 Schülern in meiner Klasse", erzählt der schwarze Sportler, "wurden vom Lehrer nur fünf ermutigt, eine weiterführende Schule zu besuchen". Allen anderen hatte der Lehrer empfohlen mit einem guten Hauptschulabschluss in der Tasche in die Papierindustrie oder ins Baugewerbe zu gehen.