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Schröder, Merkel und die Oper, die sich Regierung nennt

Michael Köhler / (reh)17. September 2005

Politik ist mehr als Gesetze und Kampagnen. Sie lebt auch von Theater, Glamour und Selbstdarstellung. Ist nicht jede Legislaturperiode wie eine Oper – diesmal womöglich mit tragischem Ende für Kanzler Gerhard Schröder?

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Der Kanzler und die Kandidatin - wie Wagners 'Wotan' und 'Fricka'?Bild: dpa - Bildarchiv

"Gedanken ans Ende darf man nicht an sich heran lassen", hat Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal gesagt. Aber meint er das ernst? "Es macht ihm Spaß, Abschied zu nehmen", sagt Norbert Seitz. Der Publizist hat gerade ein Buch über die deutschen Kanzler und die Künste veröffentlicht. Er nennt zwei wesentliche Dinge, durch die sich der Medienkanzler am Ende seiner Regierungszeit auszeichne: die Kunst und der weltpolitische Auftritt, das Schöne und die Macht. Das sind die Zutaten großen Theaters, großer Oper. "Er zelebriert es, dass gerade die Kunst eine größere Rolle spielt, als sich mit irgendeiner Handelskammer zusammenzusetzen und darüber zu beraten, wie man zusätzlich Lehrstellen für Jugendliche schafft", sagt Seitz und folgert: "Das zeigt, dass hier eine theatralische Inszenierung vor sich geht."

Erster Akt: Der glamouröse Held

Bundeskanzler Gerhard Schröder (l) winkt am Freitag (01.07.2005) in Berlin beim Verlassen des Plenarsaals Bundesfinanzminister Hans Eichel (r) und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement zu.
Gerhard Schröder, der Entdecker des Polit-Glamour - und listig wie Wotan, wenn man an die Vertrauensfrage denkt, sagen ExpertenBild: dpa

Diese Bildkraft greift auf einen deutschen Archetypus zurück: auf Wotan aus Richard Wagners Oper "Ring des Niebelungen" - den machtlosen Gottvater, der sich fremder Hilfe und List bedient, um sein Werk zu vollenden. Doch es gelingt ihm nicht. In Richard Wagners Oper singt er: "Zusammen breche, was ich gebaut! Auf geb' ich mein Werk; eines nur will ich noch: das Ende - das Ende!" Das klingt ein bisschen wie Schröder und die Vertrauensfrage.

Auch der Berliner Kommunikationsforscher und Trendanalytiker Norbert Bolz stellt fest, die ästhetische Seite der Politik habe sich vor das politische Geschäft geschoben: "Selbstdarstellung der Politik, Einzug des Glamour, selbstbewusstes Auftreten, all das ist neu. Die gesamte ästhetische Dimension ist durch die rot-grüne Regierung erst entdeckt worden."

CDU-Anhaenger und -Delegierte halten Schilder waehrend der Eroeffnung des CDU-Wahlparteitags in der Westfalenhalle in Dortmund, Sonntag, 28. August 2005, hoch
'Angie' in Orange: Wahlkampf ist fast nicht mehr Oper, sondern PopBild: AP

Es geht aber um mehr als nur Inszenierung, handgenähte Anzüge und Show. Das Politische hat Züge des Opernhaften, des Dramatischen, des Theatralischen angenommen, die über orangene Wahlkampfarenen hinausgehen. Dabei drängt sich der Eindruck auf, es sei eher ein Pop-Ereignis, mit Stadion und Luftballons. Roland Kaiser singt für Schröder und Rolling-Stones-Musik erklingt für Kanzlerkandidaten Angela "Angie" Merkel.

Was passiert im zweiten und dritten Akt der politischen Oper? Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.

Zweiter Akt: Gespielte Ehrlichkeit

Kaspertheater mit Schröder und Merkel
Schröder gegen Merkel - alles nur Theater? Egal, wer was verspricht: Die Wähler sind skeptisch gegenüber Zusagen und VisionenBild: dpa

"Ich möchte gemessen werden, nach vier Jahren, an einer einzigen Frage, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelungen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken" – das versprach Schröder bei seinem Amtsantritt. Einlösen konnte er es nicht. Norbert Seitz sagt: "Ich glaube, dass es so etwas wie den Zusammenbruch des Versprechens-Ethos gibt. Man glaubt nicht mehr." Egal, ob es nun "Mehr Demokratie wagen" unter Willy Brandt hieß oder "geistig moralische Wende" unter Helmut Kohl oder "ich möchte gemessen werden".

Wetten, dass...?
Bundeskanzler Gerhard Schröder im Februar 1999 bei Thomas Gottschalks Samstagabend-Show 'Wetten, dass...?'Bild: AP

Für Kommunikationstheoretiker Bolz stellt sich daher vor allem die Frage: Wem kann ich vertrauen? "Vertrauen tritt an die Stelle von Sachkompetenz", sagt er. "Wie können sich nun Politiker um dieses Vertrauen bemühen? Nur durch ihre inszenierte Aufrichtigkeit." Schröder war der erste Bundeskanzler, der in Fernseh-Shows auftrat, der in Filmen kleine Rollen bekleidete. Für Bolz sind das Geschäft des Regierens und die Ansicht der Regierungspolitik zweierlei. Das eine ist quasi hinter, das andere auf der Bühne.

Dritter Akt: Berliner Götterdämmerung

So wie es war, wird es nicht mehr sein können. Die Frage, die sich am Ende der Wagner-Oper "Götterdämmerung" aus dem "Ring des Nibelungen", stellt, nämlich ob die Welt untergeht, oder nur eine Welt, diese Frage ist zu groß für die Politik. Es geht auch nicht um Endzeit, aber doch um ein Ende. Das Ende eines rot-grünen Projekts und Anfang eines neuen, möglicherweise. Auf jeden Fall aber ist es eine Oper vom Ende. Wie Wotan fehlt dem Kanzler die Handlungsfreiheit. Er kann nicht aufhören, aufzuhören.

Wenn man Schröder mit Wotan vergleicht, bietet sich für Angela Merkel aus der gleichen Oper die Fricka an, als Hüterin der Treue und der Verträge. "Die Angela-Fricka-Analogie drängt sich auf", sagt Seitz. "Aber es ist ganz schwierig damit Erfolg zu haben. Ich glaube nicht, dass man Authentizität damit schaffen kann, indem man sich hinstellt und sagt ´ich will Deutschland dienen'."

Götterdämmerung nach Schlingensief
Die Götterdämmerung (hier in Bayreuth 2004) steht für das Ende - etwas Ähnliches erlebt die rot-grüne Regierung in BerlinBild: AP/Bayreuther Festspiele - Arve Dinde

Bolz gesteht Merkel aber zu, sie habe rechtzeitig begriffen, welche ökologische Nische sie im großen Theater des Politischen besetzen könnte – nämlich den Gegenpart zum rot-grünen Glamour. "Hämisch gesagt: Merkels mangelnde Schlagfertigkeit, ihre Hässlichkeit, das sind eigentlich positive Qualitäten für die Bedürfnisse eines neuen Biedermeier."

Der Wähler wohnt also tatsächlich einer Oper bei. "Wenn man so will, als ästhetischer Betrachter der Szene", sagt Bolz, "ist es in der Tat eine Götterdämmerung. Und danach kommen wieder Bürger."