Schröders überfälliger Besuch in Prag
5. September 2003Geplant war die Reise schon lange. Bundeskanzler Gerhard Schröder sollte bereits Anfang 2002 Prag einen Besuch abstatten. Dieser wurde damals aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Grund: Der damalige tschechische Premier Milos Zeman hatte die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertriebenen Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers" bezeichnet. Sollte heißen: Diese Menschen seien Verräter gewesen und die ethnische Säuberung, der sie nach dem Krieg zum Opfer fielen, sei deshalb nur folgerichtig gewesen.
Benes-Dekrete
Der launige Populist Zeman (Foto) ist seit mehr als einem Jahr in Rente. Gefolgt ist ihm im Amt des Ministerpräsidenten der pragmatische Vladimir Spidla, auch ein Sozialdemokrat. Die aufgeregten Debatten über die Gültigkeit der so genannten Benes-Dekrete, die seit 1945 die Vertreibung von etwa drei Millionen Deutschen rechtfertigen, fanden ihr vorläufiges Ende.
Nach Ansicht des Politologen Bohumil Dolezal hat sich die deutsche Regierung abgefunden mit offiziellen tschechischen Erklärungen, die zwar äußerlich moderat klingen, die jedoch an der tschechischen Position zur Vertreibung der Sudetendeutschen nichts ändern. "Es geht dabei um zwei grundlegende Fragen", erläutert Dolezal: "Zunächst, dass die Vertreibung aus der heutigen Sicht nicht akzeptabel ist, aus der damaligen Sicht aber akzeptabel war. Und das andere, dass man dies als eine Folge ansehen muss, denn die Ursache war der deutsche Terror während der Nazi-Zeit."
Zentrum gegen Vertreibungen
Die deutsche Regierung widerspricht dieser Haltung nicht. Mittlerweile droht aber schon eine andere Frage der Vergangenheitsbewältigung zum Streitpunkt zwischen Tschechen und Deutschen zu werden. Es geht dabei um das "Zentrum gegen Vertreibungen", das die gleichnamige Stiftung in Berlin aufbauen möchte. Ins Leben gerufen wurde die Idee nicht nur vom Vertriebenenverband, sondern auch von namhaften Politikern und Publizisten verschiedener Couleur. Tschechiens Premier Spidla schlägt dagegen als Alternative ein "Europäisches Zentrum zur Erforschung der Gründe und Folgen von Kriegen" vor. Das Problem, glaubt der Politologe Dolezal, besteht darin, dass nun ein Prestige-Streit entstanden ist. Sollen etwa deutsche Vertriebene an der Spitze aller Vertriebenen des 20. Jahrhunderts stehen, fragen sich die Tschechen, oder gehören sie eher irgendwo in den Hintergrund? Ihre Vertreibung war doch nach der tschechischen Theorie von Ursache und Folgen eben eine Folge des hitlerschen Terrors.
Neben dieser Frage geht es in Schröders Gespräch mit Spidla (Foto) wohl auch um die EU-Erweiterung. Tschechien, das am 1. Mai 2004 zusammen mit neun weiteren Ländern EU-Mitglied wird, entwickelt bereits jetzt eigene Initiativen. In Prag fand kürzlich ein informelles Treffen der Vertreter von 15 kleineren EU-Staaten und Beitrittsländern statt, um über den Verfassungsentwurf des EU-Konvents zu beraten. Viele der kleineren Staaten sind der Auffassung, dass auch künftig jedes Mitglied mit mindestens einem Posten in der EU-Kommission vertreten sein sollte. Außerdem befürchten sie, der Entwurf begünstige große EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich.
Vermittler zwischen Kontinenten
Die außenpolitischen Ambitionen der Tschechischen Republik reichen aber auch über die Grenzen Europas hinaus: Tschechiens Außenminister Cyril Svoboda bot vor kurzem Vermittlerdienste an, um das transatlantische Verhältnis, das durch den Irak-Krieg Schaden erlitt, reparieren zu helfen. Tschechien gehört zu den Alliierten der von den USA und Großbritannien geführten Irak-Koalition.
"Die Haltung der tschechischen Regierung ist, glaube ich, in dieser Frage grundsätzlich richtig", sagt Dolezal. "Es ist für uns nicht möglich, uns ausschließlich auf die Europäische Union zu verlassen, zumal sie im Augenblick eine Art Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten zu spielen versucht. Es muss sichergestellt werden, dass es neben der europäischen Integration auch eine intensive und ungestörte transatlantische Zusammenarbeit gibt." Mit Spannung erwarten politische Beobachter, wie Bundeskanzler Schröder sich dazu in Prag äußert. Erst in seiner Amtszeit entstand die große Distanz der deutschen Regierung zum einstigen engen Verbündeten und Freund USA.