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Paukenschlag statt Geisterstunde

Oliver Samson8. Juni 2003

In Deutschland nur noch ein Randthema, ist das Pfingsttreffen der Sudetendeutschen in Tschechien nach wie vor von höchstem öffentlichen Interesse - gerade eine Woche vor dem EU-Referendum.

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Es gibt auch junge SudetenBild: AP

Das traditionelle Pfingsttreffen der Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) begann mit einem Paukenschlag: Trotz "bestehender Hemmnisse“ befürworte die Landsmannschaft den Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union (EU), sagte der Bundesvorsitzende und CSU-Europa-Abgeordnete Bernd Posselt am Freitag (6.6.03) in Augsburg. Das ist neu: Noch am 9. April 2003 hatte Posselt zusammen mit seinen neun Fraktionskollegen im Europaparlament geschlossen gegen den Beitritt der tschechischen Republik gestimmt.

Deutschen Medien war dies höchstens eine kleine Meldung wert, in Tschechien hingegen brach ein Sturm der Entrüstung los. Dieses Nein, schrieb Possel in einem offenen Brief, sei kein Nein gegen Tschechien, aber ein Protest dagegen, dass Tschechien sich noch nicht von der "nationalistischen Erblast" der Benes-Dekrete getrennt habe.

Keine guten Nachbarn

Sudetendeutscher Bernd Posselt
Landsmannschafts Vorsitzender Bernd PosseltBild: AP

Zu keinem seiner Nachbarländer hat Deutschland ein so schlechteste Verhältnis wie mit Tschechien. Die Krux sind dabei die sogenannten Benes-Dekrete, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreibung und Enteignung der Sudetendeutschen aus ihrer nunmehr tschechischen Heimat legitimiert wurden. Die Sudeten fordern seitdem die Rücknahme der Dekrete, während auf tschechischer Seite parteiübergreifender Konsens herrscht, dass das Thema nicht diskutabel ist.

Der ehemalige Premier Milos Zeman prägte den Terminus, die Dekrete seien "erloschen". Damit konnten beide Seiten einigermaßen leben. Der aktuelle Premier Vladimir Spidla erklärte die Dekrete aber unlängst wieder für voll gültig, womit er nach Worten des Sudeten-Vorsitzenden Possels all jene blamiere, "die sich einreden ließen, diese rassistischen Unrechtsakte gegen Millionen Unschuldiger" hätten keine Bedeutung mehr.

Das deutsch-tschechische Verhältnis steckt in einer Sackgasse - und das traditionelle Sudetentreffen war noch nie ein Forum, von dem die großen Versöhnungsgesten ausgingen. Es waren oft eher Geisterstunden deutscher Außenpolitik.

Immer wieder waren zu Pfingsten schrill revisionistische Töne zu hören. Besonnene Töne von Gastrednern wurden meist mit einem Pfeifkonzert beantwortet. So erging es etwa im letzten Jahr Innenminister Otto Schilly (SPD). In diesem Jahr wird bei der Hauptkundgebung am Pfingstsonntag der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), offiziell "Schirmherr der sudetendeutschen Volksgruppe", sprechen.

"Jeder Schritt, jedes Wort"

Pfeifkonzerte sind bei Stoibers Rede von den erwarteten 60.000 Besuchern des 54. Sudetentages nicht zu befürchten. Dafür aber um so größere Aufmerksamkeit der zahlreichen tschechischen Kamerateams. "Die tschechische Öffentlichkeit registriert jeden Schritt, und jedes Wort“, sagt Daniel Kraft, Leiter der Stiftung Brücke/Most zur Förderung der deutsch-tschechischen Verständigung und Zusammenarbeit in Dresden. Das Sudetentreffen ist im Nachbarland nach wie vor der Aufmacher für die Zeitungen und Nachrichtensendungen, "obwohl auch in Tschechien inzwischen viele einordnen können, was dort von wem gesagt wird", meint Uwe Müller, Chefredakteur der deutschsprachigen "Prager Zeitung".

Doch gerade der Zeitpunkt des Sudetentages ist zumindest pikant. Die Sudetentag könne allemal noch Ängste aktivieren, meint der Tschechien-Kenner Kraft. Eine Woche vor dem EU-Referendum könnte anti-europäische Kreise in Tschechien revisionistische Töne aus Augsburg für ihre Zwecke instrumentalisieren. "Von daher ist es keine Überraschung, dass Posselt jetzt eingelenkt hat", meint Chef-Redakteur Müller. Denn ein Nein der Tschechen zur EU - das wolle ernsthaft auch keine Sudeten-Funktionär. Noch nicht mal an Pfingsten.