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Schülerschreck Schiller

11. September 2009

Er gilt als einer der beliebtesten Dichter der Deutschen und gehört zur Pflichtlektüre am Gymnasium. Doch Schule und Schiller passen nicht zusammen: seine Liebe zum Freiheitsdichter entdeckt der Deutsche meist privat.

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Schiller-Büste in Rudolstadt (Foto: dpa)
Schiller in RudolstadtBild: picture-alliance/ dpa

Für Deutschlands bekanntesten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki war es eine Theateraufführung des Wilhelm Tell, die für den Zwölfjährigen zum "literarischen Initiationserlebnis" wurde. Die Schriftstellerin Ulla Hahn baute ihrem Lieblingsautor Friedrich Schiller mit Sechzehn einen Hausaltar – samt flackernder Kerze und Perücken-Scherenschnitt. Und die beliebte Literaturenthusiastin und Autorin Elke Heidenreich behauptet sogar, schon als Baby im Mutterleib rezitierte Schiller-Verse gehört und genossen haben. Mein Friedrich, dein Friedrich: wer als deutscher Autor oder Literaturexperte auf sich hält, der brüstet sich gern damit, erst durch den leidenschaftlichen Freiheitsdichter aus Jena auf den Literaturgeschmack gekommen zu sein.

Deutscher Lieblingsdichter, verhasste Schullektüre

Tatsächlich: kaum ein anderer Autor der Literaturgeschichte ist und war bei den Deutschen so beliebt wie Friedrich Schiller. Im 19. Jahrhundert steigerte sich die nationale Begeisterung für ihn zum regelrechten Schiller-Kult. Im zwanzigsten Jahrhundert wagten nicht einmal die Nationalsozialisten den Klassiker zu verbieten. Nur bei deutschen Schülern regt sich gegen Schiller seit jeher Widerwillen.

Hermann Hesse im April 1926 in Rueschlikon (Foto: AP)
Kein Schiller-Fan: HesseBild: AP

So beklagten schon der Schriftsteller Hermann Hesse und der Maler Max Liebermann in ihren persönlichen Aufzeichnungen, der Deutschunterricht habe ihnen den Verfasser des Liedes von der Glocke gründlich verleidet, die viele angehende Abiturienten bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts noch auswendig lernen mussten. Liebermann wurde nach eigener Aussage bezeichnenderweise erst dann zum "Schiller-Anbeter", als seine Tochter den Dichter später in der Schule durchnahm. Und auch Literaturnobelpreisträger Thomas Mann schrieb in sein Tagebuch, er habe die Dramen des Dichters zwar begeistert gelesen, aber immer erst "nach der Schule, bei einem Teller voll belegter Butterbrote."

Miefige Pflichtlektüre

Seine Liebe zu Schiller entdeckt der Deutsche auffällig oft privat – und nicht in der Schule. Und so genießt die Oberstufen-Lektüre Don Carlos auch heute noch unter Schülern keinen besonders guten Ruf, wie eine Umfrage am Kölner Schiller-Gymnasium zeigt. Die achtzehnjährige Alina zum Beispiel gesteht freimütig, sich durch den Text "durchgekämpft" zu haben. Und der Zwölfklässler Craig meint, er habe viel lieber die Hintergrundberichte zur französischen Revolution und zur Biografie des Dichters gelesen hat als das Theaterstück selbst. "Ich fand Schillers Sprache schwierig und ermüdend," meint Craig. "Von alleine wäre ich wahrscheinlich nicht auf ihn gekommen!"

Sperrige Kunstsprache

Szene aus einem Film über Friedrich Schiller (Foto: dpa)
Rebell Schiller als FilmfigurBild: dpa

Vor allem die altertümliche, pathetische Sprache Schillers, die viele Jugendliche der "Generation Internet" längst nicht mehr auf Anhieb verstehen, macht Schülern zu schaffen. Anni Schulz-Krause, die Direktorin des Kölner Schillergymnasiums, rät Deutschlehrern deswegen dazu, die Lektüre des Pflichtklassikers nach altersgemäßem Interesse auszuwählen. Eine Ballade wie Die Bürgschaft, die den Wert von Freundschaft verhandelt, eignet sich für die Unterstufe. Politische Dramen wie Don Carlos oder Wilhelm Tell sind eher etwas für die Oberstufe. Und dann, so Schulz-Krause, hätten Deutschlehrer bei Schiller immerhin den Vorteil, mit einer jugendlich rebellischen Dichterpersönlichkeit punkten zu können. "Als junger Mann, der sich gegen seine strenge Lehranstalt – die Solitude - gewehrt hat, ist Schiller natürlich für jeden Schüler eine interessante Figur," meint Schulz-Krause ohne jede Ironie.

Popstar der Literaturgeschichte

Friedrich Schiller Superstar. Tatsächlich verfügt dieses Dichterleben über alle notwendigen Zutaten eines glamourösen Draufgängertums, das auch Popidole faszinierend macht. Aufruhr, Flucht, Liebesaffären, Freiheitsproklamationen und früher Tod - Schillers Biografie liest sich wie ein literarischer James-Dean-Werdegang und kommt bei Jugendlichen wie Craig gut an. Auch wenn dem Zwölftklässler die Lektüre des Don Carlos schwer fiel, der Dichter als cooler Typ und Vorbild in punkto Zivilcourage hat seinen Respekt. "Schiller ist ja auch mal in seiner Schule und in seiner Militärakademie angeeckt," sagt Craig anerkennend, "und er hat die Gewalt nicht akzeptiert, sondern sich dagegen aufgebäumt – und das ist schon gut!"

Autorin: Gisa Funck

Redaktion: Gabriela Schaaf