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Sarrazin bläst der Wind schärfer ins Gesicht

8. Oktober 2009

Seine abfälligen Äußerungen über Türken und Araber haben ihm eine Menge Ärger eingebracht. Nach Bundesbank-Präsident Axel Weber fordern jetzt Politiker fast aller Parteien den Rücktritt von Thilo Sarrazin.

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Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin (Foto: dpa)
Löste eine heftige Debatte aus: Bundesbank-Vorstand Thilo SarrazinBild: picture-alliance/dpa

In einem Interview des Magazins "Lettre International" nahm Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin - wie gewohnt - kein Blatt vor den Mund. Große Teile der arabischen und türkischen Einwanderer seien "weder integrationswillig noch integrationsfähig". Ihre Zahl habe in Berlin durch eine "falsche Politik" zugenommen, sie hätten jedoch "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel". Und sie seien eine große Gefahr für Deutschland, denn: "Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate."

Staatsanwaltschaft prüft

Das zog heftigen Protest nach sich. In der Hauptstadt prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein Anfangsverdacht wegen des Straftatbestandes der Volksverhetzung vorliegt. Nach zahlreichen Politikern fordert jetzt auch die ehemalige Ausländerbeauftragte Berlins, die CDU-Politikerin Barbara John, den Rücktritt Sarrazins. John sagte der Frankfurter Rundschau (08.10.2009): "Was er sagt, ist abwertend, niedermachend, destruktiv und ausgrenzend. Nach der allgemeinen Definition, was rassistisch ist, könnte man seine Äußerungen da einordnen." Was Sarrazin abliefere, sei "Stammtisch-Talk". Leute in einer solch gehobenen Position, die zur politischen und finanziellen Elite gehörten, müssten wissen, was sie mit ihren Aussagen bewirkten.

Der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir (Foto: dpa)
Grünen-Chef Özdemir: Sarrazin sollte zurücktretenBild: picture-alliance/ dpa

Zuvor hatte bereits der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir Sarrazin den Rücktritt nahegelegt. Sarrazin sagte dem Sender N24: "Wenn ich so was in meiner Partei machen würde, auf diese Weise meiner Partei schaden würde, dann wäre klar, was die Konsequenz wäre: Ich könnte den Job nicht mehr machen." Sarrazin habe mit seinen Interview-Äußerungen klar gegen die Unternehmenskultur der Bundesbank verstoßen.

"Allah möge ihm mehr Verstand geben"

Ähnlich äußerte sich auch der SPD-Politiker Sebastian Edathy: "Das ist Rassismus pur und eine Tonlage, die ich außerhalb der NPD bisher nicht vernommen habe." Auch im Ausland riefen die Äußerungen Sarrazins, der selbst der SPD angehört, Kritik hervor. Der Vizechef der türkischen Zentralbank, Ibrahim Turhan, sagte über Sarrazin: "Allah möge ihm mehr Verstand geben."

Giordano: "Der Mann hat recht"

Der Publizist Ralph Giordano (Foto: dpa)
Ralph GiordanoBild: picture-alliance/ dpa

Inzwischen gibt es jedoch auch eine Reihe von Unterstützern: Der Publizist Ralph Giordano sagte, Sarrazin habe vollkommen recht. "Wie es aussieht in den Parallelgesellschaften, das hat er genau getroffen", sagte Giordano und fügte hinzu: "Migranten haben nicht nur Probleme. Sie machen auch Probleme. Und es wird Zeit, dass sich nicht nur die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft Gedanken macht über die Minderheit. Sondern die Minderheit muss sich auch Gedanken darüber machen, welches Problem sie für die nichtmuslimische Mehrheit darstellt." Wenn es etwas zu kritisieren gebe, sei es die Wortwahl Sarrazins, sagte Giordano.

Auch der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel befürwortete die Äußerungen. Henkel sagte im Deutschlandfunk: "In diesem Land werden gewisse Wahrheiten nicht ausgesprochen. Mein Eindruck ist, dass Herr Sarrazin hier fertig gemacht wird, und zwar nicht nur von der Staatswanwaltschaft, sondern auch von den Gutmenschen der Grünen- und Linken-Szene, die jetzt meinen, sie müssten die Probleme zudecken, anstatt dass sie endlich mithelfen, sie zu lösen."

Selbst Weber forderte den Rücktritt

Wegen des Interviews gilt das Verhältnis zwischen Bundesbank-Präsident Axel Weber und Sarrazin ist tief zerrüttet. Wie die Zeitung "Handelsblatt" am Dienstag berichtete, ist die Kommunikation zwischen den beiden Spitzenvertretern der Zentralbank nahezu eingestellt. In einer Erklärung Webers heißt es, Sarrazin habe dem Ansehen der Bank erheblichen Schaden zugefügt und sei als Vorstandsmitglied nicht mehr tragbar.

Sarrazin hatte schon in der Vergangenheit mehrfach mit provokanten Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. Als Berliner Finanzsenator sagte er, Berlin bekomme seine Probleme nicht in den Griff, weil die Unterschicht zu schnell wachse. Eine Erhöhung der Sozialleistungen lehnte er mit dem Argument ab, dies kurbele nur den Absatz von MP3-Spielern und Flachbildschirmen aus Fernost an.

Autor: Martin Muno (afp, ap, dpa, epd, kna)
Redaktion: Thomas Grimmer