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Rätselraten um vermeintlichen Asylbewerber

Hao Gui10. August 2016

Ein Urlauber aus China musste irrtümlich zehn Tage in einem Flüchtlingslager in Deutschland bleiben. So die Schlagzeilen. Oder wollte er doch Asyl beantragen und hat es sich anders überlegt? Ein mysteriöser Fall.

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Junliang L. in der Berliner Zeitung (Foto: twitter.com/bzberlin)
Bild: twitter.com/bzberlin

Der 30-jährige Junliang L. machte in den letzten Tagen Schlagzeilen in Deutschland. Der Chinese wurde nach eigenen Angaben in Stuttgart bestohlen und wollte bei der Polizei Anzeige erstatten. Doch statt einer Anzeige habe er den Wunsch nach Asyl geäußert, so hieß es.

Später landete er, nach Zwischenstationen in Heidelberg und Dortmund, in einer Flüchtlingsunterkunft in Dülmen in Nordrhein-Westfalen, 500 Kilometer vom vermeintlichen Tatort entfernt. Dort lebte er zehn Tage lang. Was genau geschah und welche Angaben er gegenüber den deutschen Behörden in welcher Sprache gemacht hat, ist aber bislang unklar.

Verteilung der Asylbewerber auf deutsche Bundesländer

Das Prozedere in Deutschland sieht Folgendes vor: Wer ein Asylgesuch im Inland äußert, kann sich bei einer Sicherheitsbehörde, zum Beispiel der Polizei, melden. So wie Junliang L. es anscheinend gemacht hat. Dann folgt die Aufnahme in der nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtung. Dort wird geprüft, ob der Betroffene bleiben kann oder in einem anderen Bundesland untergebracht werden muss.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (Foto: picture-alliance/dpa/D. Karmann)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in NürnbergBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

"Generell erfolgt die Verteilung von Asylsuchenden auf die Bundesländer nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel", sagt eine Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Interview mit der Deutschen Welle. "Der Schlüssel legt fest, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss. Die Verteilung wird jährlich entsprechend der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder errechnet. Die Zuweisung in eine bestimmte Aufnahmeeinrichtung entscheidet sich nach aktuellen Kapazitäten."

Darüber hinaus gelte die sogenannte Herkunftsländerzuständigkeit, so die Sprecherin weiter. Neben Baden-Württemberg und Niedersachen werden chinesische Asylanträge in Nordrhein-Westfalen bearbeitet.

Willkommens-SMS an chinesische Urlauber in Deutschland (Screenshot: Su Meng)
Willkommens-SMS an chinesische Urlauber in DeutschlandBild: China Mobile

Asylbewerber oder Tourist

Nachdem der Chinese Junliang letztendlich im Flüchtlingsheim Dülmen untergebracht worden war, habe er ein "merkwürdiges Verhalten" gezeigt, sagt Christoph Schlütermann vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), das im Kreis Coesfeld mehr als zwölf Notunterkünfte für Asylsuchende betreibt. In Heidelberg nämlich habe er bei der Ersterfassung zu Protokoll gegeben, dass er Asyl beantragen wolle, sagt Schlütermann der Deutschen Welle. Als er aber in der Notunterkunft in Dülmen angekommen sei, habe er sich nur noch als Tourist bezeichnet.

Wie ein Tourist zum Flüchtling wurde

Noch mehr an dem Fall ist rätselhaft. Laut Pressemeldungen soll der Urlauber Junliang ein Handy besitzen. Jeder Tourist aus China, der in Deutschland sein Mobiltelefon einschaltet, erhält zwei Kurznachrichten vom Betreiber, wie hier auf dem Bild.

Die erste enthält Angaben über die Roaming-Kosten, die zweite über Ansprechpartner der diplomatischen Vertretungen Chinas für Notfälle: die Handynummer der Botschaft in Berlin und der Konsulate Chinas in Frankfurt, Hamburg und München. Außerdem hat das chinesische Außenministerium eine Notfallnummer für alle Landsleute im Ausland eingerichtet. Auch sie steht in der SMS.

Falls einem Urlauber aus China Geldbörse und Bargeld geklaut werden und er nicht weiß, was er tun soll, kann er ohne Schwierigkeiten die Hilfe der chinesischen Auslandsvertretungen in Anspruch nehmen. Offenbar hat Junliang das nicht getan.

Lost in translation

Wenn der chinesische Urlauber tatsächlich bei den deutschen Behörden so verstanden wurde, dass er Asyl beantragen wollte, könnte das an einem Übersetzungsproblem liegen. "Flüchtling" bedeutet auf Chinesisch "Mensch in Schwierigkeiten". Asyl bedeutet "Schwierigkeiten umgehen". Wer kein Geld mehr hat, ist in Schwierigkeiten, mag Junliang gedacht haben. Dass das Asyl in Deutschland Menschen vor politisch motivierter Verfolgung schützt, erschließt sich in der chinesischen Sprache nicht eindeutig.

Christoph Schlütermann vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) (Foto: picture alliance/dpa/DRK Coesfeld)
Christoph Schlütermann vom Deutschen Roten Kreuz (DRK)Bild: picture alliance/dpa/DRK Coesfeld

Allerdings ist die schriftliche Belehrung in seiner Muttersprache, die Junliang nach seiner Aufnahme in Dülmen bei der Ausländerbehörde in Dortmund unterschrieb und die die deutsche Boulevardzeitung "Bild" am Mittwoch veröffentlichte, eindeutig: "Der Antragsteller ersucht Schutz vor Verfolgung und möglichem realem Risiko einer Verfolgung", hieß es dort in Chinesisch.

Die Sprecherin des BAMF, das Antragsteller anhört und über das Bleiberecht entscheidet, sagte der Deutschen Welle, dass Junliang L. keinen offiziellen Asylantrag gestellt habe und kein Aktenzeichen von ihm vorliege. Bis zu sechs Monaten müssten jetzt die Asylsuchenden warten, da das BAMF viele Anträge bearbeiten müsse, sagt Schlütermann. Kein Aktenzeichen, kein Verfahren; kein Verfahren, kein Anhörungstermin - soweit die deutsche Ordnung.

Behörden bestellen Dolmetscher

Zur Ordnung gehört auch, dass "jedem Flüchtling ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt wird, falls sich die Behörden mit ihm nicht verständigen können", sagt ein Sprachmittler, der lange Jahre im Auftrag der Ausländerbehörde Dortmund und des BAMF für Flüchtlinge aus China gedolmetscht hatte.

Notunterkunft in Dülmen (Foto: picture alliance/dpa/DRK Coesfeld)
Notunterkunft in DülmenBild: picture alliance/dpa/DRK Coesfeld

Sehr viele Dokumente des BAMF lägen in chinesischer Sprache vor, so der Insider im Interview mit der Deutschen Welle. Schriftliche Protokolle, die unterschrieben werden müssten, würden vor Unterschrift in voller Länge mündlich in die Sprache des Antragstellers übersetzt. Wenn er mit dem Protokoll nicht einverstanden sei, habe er die Möglichkeit, die Unterschrift zu verweigern.

Die Infrastruktur für chinesische Antragsteller beim BMAF sei gut aufgebaut, sagt der Dolmetscher, der nicht namentlich genannt werden will. Vor 20 Jahren seien noch viele Chinesen vor politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen, viele von ihnen seien Anhänger der verbotenen Sekte Falun Gong gewesen, viele Frauen wollten sich vor Zwangssterilisation infolge der strengen Ein-Kind-Politik schützen, wieder andere wollten der drohenden Todesstrafe in China entgehen. Nach offizieller Statistik hatten im Jahr 2000 noch mehr als 2000 Chinesen einen Asylantrag in Deutschland gestellt, bis Ende Juli dieses Jahres waren es nur 382.

Bereits zurück in China ?

Wo der vermeintliche Urlauber jetzt ist, weiß niemand. Die DW versuchte vergeblich, ihn nach der "Freilassung" ausfindig zu machen. Schlütermann vom DRK berichtet, Junliang habe seinen Pass, den er bei der Polizei abgegeben hatte, über die diplomatische Vertretung Chinas zurückerhalten. "Vielleicht ist er schon in China, da sein Visum für die Schengen-Staaten bereits abgelaufen ist." Auf die Frage, ob er wirklich vorgehabt hatte, einen Asylantrag zu stellen, sagt Schlütermann: "Das kann man nicht ausschließen."