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Revolution auf Isländisch

Henning Engeln13. Mai 2003

Seit Jahrzehnten gilt Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Praktische Bedeutung hat er aber keine. In Island soll sich das nun ändern. Die Insel am Polarkreis will komplett unabhängig vom Erdöl werden.

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Sprudelnde Energiequelle GeysirBild: Illuscope

Island ist mit natürlichen Energiequellen reich gesegnet. Aus Geothermie-Kraftwerken zischt Dampf, der aus dem heißen Untergrund der Insel nach oben strömt und den Bewohnern Fernwärme für ihre Wohnungen liefert. Auch Strom wird in geothermischen Kraftwerken gewonnen, ebenso aus der Wasserkraft der Flüsse. Sämtliche Energie zum Heizen und auch 100 Prozent der Elektrizität erhalten die Inselbewohner inzwischen aus solchen natürlichen Quellen. Trotzdem verbraucht ein Isländer im Durchschnitt ähnlich viel Erdöl wie ein Deutscher, denn er fährt gerne Auto, und die große Fischereiflotte - der wichtigste Wirtschaftszweig Islands - schluckt viel Dieselkraftstoff.

Fernziel Kommerzialisierung

Doch das soll sich ändern. Island möchte unabhängig von fossilen Energieträgern werden und seine Motoren mit dem Kraftstoff der Zukunft antreiben: Mit Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 1999 die Gesellschaft "Islandic New Energy" gegründet. Jon Björn Skulason, General-Manager der Gesellschaft, erläutert den Zeitrahmen des Plans: "Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die ersten zehn Jahre eine Art Demonstrationsperiode für die Technik sein werden. Sind die Erfahrungen positiv, hoffen wir, eine Serienproduktion von Fahrzeugen und Schiffen zu erleben." Das könne ab 2015 oder 2020 geschehen. Danach, meint Skualson, "wird die volle Kommerzialisierung der Technik beginnen".

Ernsthafter Praxistest

Ein Schritt in diese Zukunft war die Eröffnung der weltweit ersten öffentlichen Wasserstofftankstelle in Reykjavik. Dort wird Wasserstoff direkt vor Ort erzeugt, indem Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandteile zerlegt wird. Er wird als Gas frei und von einem Kompressor unter hohem Druck in große Vorratsbehälter gepumpt. Kommt ein Fahrzeug zum Tanken, wird das Wasserstoffgas über einen Schlauch fast geräuschlos in die Druckflaschen an Bord des Wagens geleitet. Dort geschieht in einer Brennstoffzelle genau der umgekehrte Vorgang: Wasserstoff und Luftsauerstoff verbinden sich zu Wasser und erzeugen elektrischen Strom, der die Elektromotoren des Fahrzeugs antreibt.

Das Motorengeräusch des Wagens klingt ungewohnt. Völlig ruckfrei und mit zügiger Beschleunigung setzt sich der Demonstrations-Transporter in Bewegung. Es ist allerdings bislang das einzige Fahrzeug, das dort tankt. Erst im Herbst 2003 sollen drei Brennstoffzellen-Busse für den Linienverkehr folgen. "Wir haben einen Stand erreicht, wo wir aus einer Forschungs- und Entwicklungserprobung herausgehen", sagt Herbert Kohler, Forschungsleiter und Umweltbevollmächtiger der DaimlerChrysler AG. Hier wurden die Fahrzeuge entwickelt. "Wir werden im nächsten Jahr mit Bussen und mit Fahrzeugen eine Dauererprobung unter Praxisbedingungen machen können."

Denken in Jahrzehnten

Dabei wollen sich die Entwickler nicht auf Island beschränken, sondern die Busse auch in europäischen Großstädten erproben. Im Gegensatz zum überschaubaren Island ist natürlich die Situation in Europa komplizierter. Den Anfang sollen von 2003 an neun Großstädte machen. Kohler glaubt, dass sich die Technik in Europa langsamer durchsetzen wird als in Island. "In Island wird es 10 bis 20 Jahre dauern", sagt der Fachmann, "in Europa selbst wird es eher 20, 30, 40 Jahre dauern. Aber einen Anfang zu machen, ist im Moment wichtig. Und aus diesen Erfahrungen und Erkenntnissen muss man dann lernen."

Überzeugt von der Revolution

Bis es so weit ist, sind allerdings noch viele Probleme zu lösen. Die Kosten eines Brennstoffzellen-Busses etwa sind zur Zeit noch sechs Mal so hoch wie die eines Dieselfahrzeugs. Auch der Preis des Kraftstoffes ist bislang nicht mit Benzin oder Diesel konkurrenzfähig, zudem muss ein lückenloses Netz von Tankstellen aufgebaut werden. Vor allem aber ein Problem behindert den Einsatz für den privaten PKW-Verkehr: Die Brennstoffzellen sind frostempfindlich und werden zerstört, wenn das Wasser in ihren Membranen gefriert. Doch die Ingenieure von DaimlerChrysler sind optimistisch, auch diese Klippe umschiffen zu können. Für Herbert Kohler jedenfalls steht fest: Die Wasserstoff-Welt wird kommen und sie wird den Kraftfahrzeugverkehr revolutionieren.