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Mit Ehrfurcht und Verantwortung

Kristina Reymann / Annika Zeitler3. März 2014

Der Archiveinsturz in Köln vor fünf Jahren zeigt, wie wichtig die Arbeit von Restauratoren ist. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz wären viele Zeugnisse für immer verloren. Sie sind Künstler ihres Fachs.

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Restaurierungsarbeiten nach Einsturz des Kölner Stadtarchivs (Foto: Kölner Stadtarchiv)
Bild: Kölner Stadtarchiv

"Man geht schon mit einer gewissen Ehrfurcht daran, wenn man eine Handschrift restauriert", sagt Nadine Thiel, Chefrestauratorin des Historischen Archivs in Köln. Außer den Fachleuten komme niemand so nah an die kostbaren Archivalien heran. Sie ist eine von rund 200 Restauratoren und Helfern, die sich darum kümmern, die Kölner Bestände aus dem vor fünf Jahren eingestürzten Historischen Archiv zurück in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen.

Zwar konnten 95 Prozent des Gesamtbestands geborgen werden, doch gerettet ist das historische Material, das zum Teil mehr als tausend Jahre alt ist, noch nicht. Restauratoren müssen es erst noch von Schmutz und Schimmel befreien, Risse ausbessern, Buchdeckel erneuern und Seiten glätten. "Man hat schon eine große Verantwortung", sagt Nadine Thiel. Bisher konnte ihr Team rund 1500 Objekte restaurieren. Einen Bruchteil dessen, was noch vor ihm liegt.

Viel Arbeit auch in Weimar

"Ich kann ein Fenster in die Geschichte aufmachen", sagt der Restaurator Matthias Hageböck. Er ist Mitglied im "Projektteam Brandfolgemanagement" an der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Wenn er Bücher aus Goethes Besitz in der Hand hält, fragt er sich, in welchem Zusammenhang der Dichter das Buch genutzt hat, denkt über die Umstände und die Zeit ihrer Entstehung nach. Manchmal finde man als Restaurator auch persönliche Gegenstände in den Büchern: getrocknete Blumen zum Beispiel oder auch Briefe. Das Kernsammelgebiet in Weimar ist die deutsche Literatur aus den Jahren 1750 bis 1850, aber es lagern auch Bände aus der Zeit vom 9. bis 21. Jahrhundert in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

"Aschebuch" aus der Weimarer Bibliothek (AP Photo/Jens Meyer)
"Aschebuch" aus der Weimarer BibliothekBild: AP

Im September 2004 hatte ein Brand zehntausende Bücher schwer beschädigt oder gar ganz vernichtet. 50.000 Bücher seien im Feuer verbrannt, bilanziert Hageböck. Weitere 25.000 Bände seien als "Aschebücher" geborgen worden. Es sind Bücher, die angebrannt sind, aber zum Teil von Restauratoren gerettet werden können. 37.000 Bücher mit Wasser- und Hitzeschäden könnten im kommenden Jahr vollständig restauriert sein, sagt Hageböck. Für die Weimarer Aschebücher wurde in der Restaurierungswerksatt der Bibliothek ein einmaliges Verfahren entwickelt. Die Technik ist auch in die Schweiz exportiert worden, wo bis heute Bücher aus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek wiederhergestellt werden.

Modeberuf: Restaurator

Rund 500 bis 1000 Papierrestauratoren gebe es in Deutschland, schätzt Jana Moczarski, Vorsitzende in der Fachgruppe "Grafik, Archiv- und Bibliotheksgut" im Berufsverband der Restauratoren in Deutschland (VDR). Sie hat den Eindruck, dass der Bedarf damit gedeckt sei. Auch für Nachwuchs ist gesorgt: Es gibt rund zwei dutzend Studiengänge für angehende Restauratoren in Deutschland. "Restaurator ist ein Modeberuf geworden", sagt Moczarski. Allerdings hätten viele Berufsanfänger falsche Vorstellungen von dem Beruf. "Sie stellen Kreativität in den Vordergrund und interessieren sich für Kunst, aber es ist kein künstlerisch-kreativer Beruf", betont sie. Allerdings schade Kreativität auch nicht. "Ich muss kreative Maßnahmen finden, um den Originalerhalt der Objekte sicherzustellen."

Neu ist die Masse an beschädigtem Kulturgut

Die große Herausforderung an Restauratoren, sagen Moczarski und Hageböck übereinstimmend, bestehe darin, neue Strategien für die Massenrestaurierung zu entwickeln. Heute gehe es nicht mehr nur darum, sich mit einzelnen Objekten zu befassen, sondern man müsse sich mit großen Massen von Archiv- und Bibliotheksgut auseinandersetzen. "Das ist eine riesige logistische Aufgabe", sagt Hageböck: "Auch die wirtschaftliche Seite muss beachtet und zugleich die Qualität gesichert werden."

Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar (Foto: dpa)
Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in WeimarBild: picture-alliance/dpa

Mehr Aufklärung notwendig

Das Europäische Forschungszentrum für Buch- und Papierrestaurierung hat sich zum Ziel gesetzt, Kulturgut zu erhalten und die Forschung auf europäischer Ebene voranzubringen, erläutert Patricia Engels, wissenschaftliche Leiterin des Instituts mit Sitz in Österreich. Sie sieht ihre Aufgabe darin, Lösungen für die vorrangigen Probleme zu finden, die die Restauratoren in ganz Europa beschäftigen: Schimmelbefall, saures Papier, das sich zersetzt, pflanzlich gegerbtes Leder und Tinten, die sich durch das Papier fressen. Außerdem fordert sie mehr Aufklärungsarbeit. Man müsse immer wieder intensiv darauf hinweisen, wie wichtig es ist, Geld in die Hand zu nehmen, um Forschung zu betreiben und Kulturgüter zu erhalten.

Nationale und internationale Zusammenarbeit von Restauratoren

Nicht nur in der Forschung, auch in der Praxis arbeiten Restauratoren über Ländergrenzen hinweg zusammen. Archive und Bibliotheken kooperieren mit Hochschulen und Restaurierungswerkstätten - national wie international. Bücher aus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek werden in der Schweiz, in Estland, Ungarn und Spanien wiederhergestellt. Im niederländischen Den Haag wird derzeit ein Rechnungsbuch aus den Kölner Beständen restauriert.

Das eingestürzte Kölner Stadtarchiv (Foto: ddp images/AP Photo/Martin Meissner)
Das "Gedächtnis der Stadt" unter Schutt begrabenBild: AP

"Die Hilfsbereitschaft unter den Fachleuten ist groß", bestätigt Nadine Thiel aus Köln. Trotzdem ist die Restaurierungsarbeit langwierig. In Weimar werde es noch zehn Jahre dauern bis alle Bücher restauriert sind, schätzt Hageböck. In Köln könnten die Restaurierungsarbeiten frühestens in 30 Jahren abgeschlossen sein, teilt die Stadt mit. Auch die Eröffnung des neuen Archivs wird sich noch einige Jahre hinziehen.

Heute werden alle restaurierten Dokumente direkt digitalisiert. So soll nach und nach ein umfangreiches Online-Archiv entstehen. Das ist heute schon offen zugänglich.