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Reform des Kapitalismus

14. Mai 2009

Radikalisieren sich die Gewerkschaften? Stellen sie das System infrage? Oder findet in der Not die große Verbrüderung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern statt?

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Demonstration (Quelle: AP)
Maikundgebung 2009 in BerlinBild: AP

Hörte man EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso beim sogenannten Beschäftigungsgipfel vergangene Woche in Prag, dann liegt die Sache der europäischen Arbeitnehmer in guten Händen. "Auf der Grundlage eines sozialen Zusammenbruchs kann es keine wirtschaftliche Erholung geben", sinnierte Barroso und fügte hinzu, die Frage der Beschäftigung habe oberste Priorität. Die Kommission erwartet für die EU im kommenden Jahr 8,5 Millionen mehr Arbeitslose wegen der Wirtschaftskrise. Auch Ernest-Antoine Seillière, der Präsident des europäischen Arbeitgeberverbandes, gab sich in Prag ganz als Partner der Gewerkschaften. Beide Seiten seien "sehr darum bemüht, durch die Krise hindurch den Dialog lebendig zu halten."

Flexibel, aber unsicher

Aufschrift 'Jobs' auf einer Scheibe (Quelle: AP)
Arbeitnehmer: immer flexibler, doch die Jobs gehen trotzdemBild: AP

Doch die schönen Worte von der Gemeinsamkeit verdecken handfeste Interessensgegensätze. Das meint jedenfalls Reiner Hoffmann, der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, ETUC. Als Beispiel nennt er die von der Kommission geprägte Formel flexicurity, ein Kunstwort aus flexibility und security. Danach sollen Arbeitnehmer flexibel sein und als Gegenleistung Arbeitsplatzsicherheit bekommen. Die Flexibilität habe durch Deregulierung der Arbeitsmärkte und weniger Kündigungsschutz zugenommen, so Hoffmann, nicht aber die Arbeitsplatzsicherheit, im Gegenteil. "Wir haben ein Heer von Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen, Leiharbeitnehmer, die gerade jetzt in der Krise als erste betroffen sind."

Reform ja, Systemsturz nein

In Frankreich und anderen Ländern hat es inzwischen Übergriffe gegen Firmenchefs gegeben. Aufgebrachte Arbeitnehmer haben Manager vorübergehend als Geiseln genommen oder ihre Autos demoliert. Droht hier eine allgemeine Radikalisierung? Reiner Hoffmann winkt ab. Und auch die Systemfrage stellt sich für ihn nicht. Doch stark reformbedürftig sei der Kapitalismus schon. Gefragt sei eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft mit viel stärkerer Betonung der sozialen Seite statt eines kurzfristigen Gewinnstrebens.

Wieder en vogue: Europäisches Modell

Brennende Autoreifen (Quelle: AP)
Proteste bei Continental in FrankreichBild: AP

Weg vom kurzfristigen Renditestreben und mehr soziale Verantwortung - das sagt im Moment fast jeder. Es ist kein Erkennungszeichen allein der Gewerkschaften. Überhaupt brechen seit Beginn der Krise liberalkonservative Politiker reihenweise wirtschaftspolitische Tabus, wenn man an Konjunkturprogramme, Bankenverstaatlichungen und Verschuldung denkt. Gewerkschaftsvertreter sind sich denn auch nicht sicher, ob ihnen die Krise wirklich auf Dauer nützt. ETUC-Generalsekretär John Monks freut sich jedenfalls, dass der europäische Sozialstaat plötzlich ungewohnte Interessenten findet. "Es ist interessant, dass die Amerikaner zur Inspiration mal in unsere Richtung schauen, zum Beispiel, wenn es um das Wohlfahrtssystem und eine starke Rolle des Staates geht." Die Regierung Bush hatte das europäische Modell noch als wirtschaftlich hinderlich belächelt. Jetzt freuen sich Europas Gewerkschaften, dass es für viele genau das wieder ist, ein Modell, zur Nachahmung empfohlen.

Autor: Christoph Hasselbach

Redaktion: Ranty Islam

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