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Philippinen verlassen Chinas "Neue Seidenstraße"

Tommy Walker
10. November 2023

Chinas globales Infrastrukturprogramm sollte auch mehrere Projekte auf den Philippinen mitfinanzieren. Doch nun sind die Philippinen ausgestiegen. Ein Grund dafür könnten die Spannungen im Südchinesischen Meer sein.

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Schiffe der chinesischen und philippinischen Küstenwache im Südchinesischen Meer
Schiffe der chinesischen und philippinischen Küstenwache im Südchinesischen MeerBild: Aaron Favila/AP Photo/picture alliance

Die Philippinen sind nicht das erste Land, das sich von Chinas "Neuer Seidenstraße" verabschiedet. Das Land habe sich für diesen unvorhergesehenen Schritt entschieden, weil Peking auf Finanzierungsanträge für Schienenbauprojekte nicht reagiert habe, erklärte Transportminister Jaime Bautista Ende Oktober vor Journalisten.

China hatte sich verpflichtet, als Teil seines Projekts "Neue Seidenstraße" etwa 4,7 Milliarden Euro zum Bau von drei Bahnstrecken beizusteuern, zwei davon in Luzon und eine in Mindanao. Das Programm stellt vor allem in Entwicklungsländern von China abgesicherte Kredite für große Infrastrukturprojekte zur Verfügung und bildet einen wichtigen Pfeiler der chinesischen Außenpolitik.

China und die Philippinen streiten jedoch schon seit Jahren über Seegebiete im Südchinesischen Meer, auf die China in ihrer Gesamtheit Anspruch erhebt. Erst kürzlich rammte ein Boot der chinesischen Küstenwache ein philippinisches Fischerboot in umstrittenen Gewässern nahe einer als Second Thomas Shoal bekannten Untiefe. In der Begründung für den Rückzug aus dem Projekt wurde auf diesen territorialen Konflikt jedoch nicht eingegangen.

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Don McLain Gill ist geopolitischer Analyst und Dozent für internationale Studien an der De La Salle University in Manila. Er berichtete der DW, dass es auch bei der Finanzierung von sechs anderen Projekten Verzögerungen gebe, darunter ein Videoüberwachungsprojekt, das Kaliwa-Dam-Projekt zur Sicherung der Trinkwasserversorgung (New Centennial Water Source - Kaliwa Dam Project) und das Langstreckenprojekt Süd der philippinischen Eisenbahn (Philippine National Railways South Long Haul Project).

"Die Entscheidung, sich aus diesen Projekten zurückzuziehen, wurde vermutlich getroffen, weil es Bedenken über die Nachhaltigkeit dieser Projekte gab und Zweifel an der Bereitschaft Pekings aufkamen, sich wie ein verantwortungsbewusster Nachbar zu verhalten", meint McLain Gill.

Spannungen im Südchinesischen Meer

In jüngerer Zeit verstärkten sich die Spannungen zwischen den Philippinen und China im Südchinesischen Meer, insbesondere im Bereich der Second Thomas Shoal oder Ayungin Shoal, die zu den umstrittenen Spratly-Inseln gehört. Auf der absichtlich in der Second-Thomas-Untiefe auf Grund gesetzten BRP Sierra Madre, einem Schiff, das im Zweiten Weltkrieg von der US-Marine eingesetzt wurde, sind philippinische Soldaten stationiert. Das Schiff wird seit Jahren instand gehalten, damit die Soldaten darauf leben können.

Soldaten auf dem Marine-Schiff BRP Sierra Madre
Mit der Sierra Madre halten die Philippinen eine militärische Präsenz in dem umstrittenen Hoheitsgebiet aufrechtBild: Erik de Castro/REUTERS

China beansprucht das gesamte Südchinesische Meer für sich und errichtet schon seit Jahren militärische Anlagen auf seinen Untiefen und Riffen. 2016 stellte sich ein internationales Tribunal auf die Seite der Philippinen und befand, dass es keine völkerrechtliche Grundlage für die territorialen Ansprüche Chinas gebe.

Seit Präsident Ferdinand Marcos Jr. ins Amt gewählt wurde, haben sich die Spannungen verschärft. Marcos nimmt eine weniger China-freundliche Haltung ein als sein Vorgänger Rodrigo Duterte und nähert sich in strategischen Fragen den USA an.

Im Februar beschuldigte die philippinische Küstenwache die Küstenwache Chinas, nahe der umstrittenen Untiefe mit einem "militärischen Laserlicht" auf ihr Schiff gezielt zu haben, so dass die Besatzung vorübergehend erblindete. China stritt jede Absicht ab. Videoaufnahmen vom August zeigen, wie ein Schiff der chinesischen Küstenwache mit einer Wasserkanone gegen ein Schiff der philippinischen Küstenwache vorgeht und dieses daran hindert, die Soldaten der Sierra Madre mit Nachschub zu versorgen. China besteht darauf, dass es sich dabei lediglich in den eigenen Hoheitsgewässern bewegt.

"China begründet diese Schikanen damit, dass die Versorgungsboote 'Baumaterialien' anliefern würden, was China als 'widerrechtlich' einstuft", sagt Raymond Powell vom Gordian Knot Center for National Security Innovation an der kalifornischen Stanford-Universität. "Mit anderen Worten: China hat eine Blockade um die Untiefe errichtet und lässt nur Lebensmittel und Ersatztruppen passieren, richtet jedoch seine Wasserkanonen auf Boote, die Baumaterial transportieren."

Philippinen Südchinesisches Meer | Boot der Küstenwache von China nutzt Wasserkanone (Foto durch Philippine Coast Guard)
Streit mit Wasserkanone Bild: Philippine Coast Guard/AP Photo/picture alliance

"Am 21. Oktober wurde die Sierra Madre zum letzten Mal versorgt, in den kommenden Wochen steht also wieder eine Lieferung an. Dabei kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen und China muss sich entscheiden, ob es die Schikanen in dieser Intensität aufrechterhalten will. Die Frage ist, ob China bereit ist, einen Schritt zurückzutreten", fügt Powell hinzu.

Springen Japan und Indien ein?

Der Grund dafür, dass China seine Wirtschaftsprojekte auf den Philippinen hinauszuzögern scheint, könnte in den Auseinandersetzungen um die umstrittene Untiefe zu finden sein, spekuliert der philippinische Senator Sherwin Gatchalian gegenüber lokalen Medien. Doch McLain Gill ist überzeugt, dass diese Verzögerung Manila langfristig die Gelegenheit geben könnte, Partnerschaften mit anderen Ländern einzugehen.

"Diese Entwicklungen werden sich als vorteilhaft für die langfristigen Entwicklungspläne der Philippinen erweisen, denn Manila ist bereit, seine Suche nach Wirtschafts- und Entwicklungspartnern auszudehnen und breiter zu fächern. Im Moment erwägt Manila, ob Japan und Indien als Geldgeber für Schienenverkehrsprojekte in Frage kommen", sagt der Experte.

Auch wenn sich Manila aus der Neuen Seidenstraße zurückzieht, bleiben die in früheren Jahren zwischen beiden Ländern aufgebauten engen wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Laut Weltbank war Peking in den vergangenen Jahren Manilas wichtigster Handelspartner und zweitgrößtes Exportland, übertroffen lediglich durch die USA.

China feiert zehn Jahre "Neue Seidenstraße"

"Chinas Direktinvestitionen sind nicht so bedeutsam. Der Stopp der Seidenstraßen-Investitionen wird keine erheblichen Auswirkungen auf die Investitionen in den Philippinen haben", sagt Jan Carlo Punongbayan, philippinischer Volkswirtschaftler und Dozent an der School of Economics der University of the Philippines, zur DW. "Was den Handel betrifft, so zählt China zu den wichtigsten Partnern der Philippinen. Chinesische Investitionen gehen jedoch nicht in signifikanter Höhe an die Philippinen."

Punongbayan ist allerdings der Überzeugung, dass die Spannungen die beiden Länder davon abhalten könnten, in Zukunft bei Entwicklungsprojekten zu kooperieren. "China wird ein wichtiger Handelspartner für den Privatsektor bleiben, doch Partnerschaften auf Regierungsebene könnten weniger werden. Möglicherweise wird es jetzt angesichts der Einmischung Chinas im West-Philippinischen Meer schwieriger, offizielle Entwicklungshilfe von Peking zu erhalten."

Laut McLain Gill gibt es Anzeichen dafür, dass Manila sich weniger auf China verlassen möchte. Philippinische Regierungsvertreter sind zuversichtlich, dass die Weltbank oder die Asiatische Entwicklungsbank bereit sein werden, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.

"In einer Zeit, in der China seine mit der philippinischen Souveränität und ihren Hoheitsrechten in Konflikt stehenden Interessen mit mehr Nachdruck vertritt, kann Manilas Bestreben, seine Abhängigkeit von einer wirtschaftlichen Partnerschaft mit China zu verringern, auch als Element weiterreichender Sicherheitsinteressen im West-Philippinischen Meer verstanden werden", meint McLain Gill.

"Angesichts des asymmetrischen Machtverhältnisses zwischen Manila und Peking müssen die Philippinen einen multidimensionalen Ansatz wählen, um die Risiken, die das wachsende Selbstbewusstsein Chinas mit sich bringt, zu minimieren. Ein Weg dahin geht über eine geringere wirtschaftliche Abhängigkeit", fügt er hinzu.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.