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PolitikAsien

China und Philippinen auf Kollisionskurs

25. Oktober 2023

Im Januar sprachen China und die Philippinen noch von Freundschaft. Seither ging es mit den Beziehungen bergab. Tatort ist das Südchinesische Meer, aber eigentlich geht es um die strategische Neuausrichtung Manilas.

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Das Foto stammt aus einem Video, das die philippinischen Streitkräfte am 22 Oktober veröffentlicht haben. Es zeigt den Zusammenstoß mit einem chinesischen Küstenwachschiff aus Perspektive des philippinischen Versorgungsschiffs
Das Foto stammt aus einem Video, das die philippinischen Streitkräfte am 22. Oktober veröffentlicht haben. Es zeigt den Zusammenstoß mit einem chinesischen Küstenwachschiff aus der Perspektive des philippinischen Versorgungsschiffs.Bild: Armed Forces of the Philippines/AFP

Am vergangenen Wochenende kam es in der Nähe des Riffs "Second Thomas Shoal" zu zwei Kollisionen. Schiffe der chinesischen Küstenwache hatten ein philippinisches Versorgungsschiff und ein Boot der philippinischen Küstenwache abgedrängt. Dabei war es zu Zusammenstößen gekommen. Niemand wurde verletzt.

Beide Länder beschuldigen sich gegenseitig, die Hoheitsrechte des jeweils anderen zu missachten. Das Riff gehört zur Gruppe der Spratly-Inseln, um die sich mehrere Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres seit Jahrzehnten streiten.

Freundschaft und positive Energie

Anfang des Jahres war die Stimmung noch eine ganz andere. Als der philippinische Staatspräsident Ferdinand Marcos Junior im Januar Xi Jinping in Peking traf, betonte er die "Freundschaft", die beide Staaten verbinde. China wiederum erklärte, "mit mehr positiver Energie zu Frieden und Stabilität in der Region beitragen" zu wollen.

Präsident Xi Jinping und Präsiden Ferdinand Marcos Jr. schreiten gemeinsam den roten Teppich ab
Seit Präsident Ferdinand Marcos Jr. im Januar bei Präsident Xi Jinping in Peking war, haben sich die bilateralen Beziehungen merklich abgekühltBild: Shen Hong/Xinhua/picture alliance

Konkret wollten beide Seiten eine direkte Notfallverbindung einrichten, um im Falle einer Eskalation im Südchinesischen Meer schnell und unkompliziert miteinander kommunizieren zu können. Außerdem versprach China Investitionen in Höhe von 22 Milliarden US-Dollar auf den Philippinen.

Feindschaft statt Freundschaft

Zwei Monate später war von Freundschaft und positiver Energie nicht mehr viel zu spüren. Im März beschuldigten die Philippinen China, mehrfach einen militärischen Laser auf ein philippinisches Küstenwachschiff gerichtet zu haben. Im August schoss die chinesische Küstenwache mit Wasserkanonen auf ein philippinisches Schiff. Anfang Oktober legte China eine schwimmende Barriere aus, um den Philippinen den Zugang zum Riff Second Thomas Shoal zu erschweren. Die Philippinen räumten die Barriere. Nun kam es zu den beiden bereits erwähnten Kollisionen.

Alle Versuche Manilas, über den im Januar eingerichteten "heißen Draht" mit Peking zu sprechen, scheiterten nach Angaben des philippinischen Außenministers Enrique Manalo.

Tatort Riff

Das Second Thomas Shoal ist seit Jahren immer wieder Schauplatz chinesisch-philippinischer Auseinandersetzungen. Es handelt sich um ein Riff der Gruppe der Spratly-Inseln. Es liegt 200 Kilometer vor der philippinischen Insel Palawan und damit innerhalb der so genannten "exklusiven Wirtschaftszone" des Landes. So bestätigte die philippinische Botschaft in Deutschland gegenüber der DW bezüglich des Vorfalls vom Wochenende schriftlich: "Er ereignete sich innerhalb der exklusiven Wirtschafszone der Philippinen".

Das Riff ist zugleich fast 1000 Kilometer entfernt von unstrittig chinesischem Territorium. 1999 ließen die Philippinen dort ein Schiff - die BRP Sierra Madre - auf Grund laufen. Anschließend wurde das Schiff von einer Handvoll Marines besetzt, um damit die eigenen Ansprüche zu unterstreichen. Das Militär ist dort bis heute stationiert.

Das Schiff Sierra Madre auf dem Riff 2nd Thomas Shoal
Das Schiff Sierra Madre auf dem Riff "Second Thoma Shoal" hatte schon 2014 mit dem Rost zu kämpfen, wie diese Archivaufnahme zeigtBild: Erik de Castro/REUTERS

Das Schiff rostet seit Jahren vor sich hin und benötigt dringend eine Überholung. Aber genau diese versucht China seit Beginn des Jahres zu verhindern. Bill Hayton, Associate Fellow des Asien-Pazifik Programms von Chatham House und Redakteur der Zeitschrift "Asian Affairs", sagte der DW: "Ich denke, China will, dass das Schiff wegrostet. Dann könnte das Riff nicht länger von den Philippinen besetzt werden und China würde dann vermutlich versuchen, dort Fuß zu fassen." 

Konkurrenz zwischen China und den USA

Im größeren Zusammenhang gehe es, so Hayton, China aber nicht nur um das Riff. Die jüngsten Ereignisse seien als Reaktion auf den außenpolitischen Umschwung der Philippinen verstehen. Marcos Jr. hat im Gegensatz zu seinem Vorgänger Rodrigo Duterte "entschieden, mit den USA zusammenzuarbeiten" und "sich gegen Chinas Vorgehen im Südchinesischen Meer zu wehren". 

So hatten die Philippinen im April 2023 nicht nur ein erweitertes Verteidigungsabkommen mit den USA geschlossen, sondern auch vier neue Orte für mögliche US-Militärbasen auf den Philippinen ausgewiesen, die alle im Norden des Landes und damit nahe an Taiwan und dem Südchinesischen Meer liegen.

Verschiedene Beobachter hatten vermutet, dass China womöglich auch eine Chance sähe, seine Ansprüche auszubauen, da die USA wegen des Kriegs in der Ukraine und dem Konflikt zwischen Israel und der Hamas abgelenkt seien. Hayton glaubt das nicht: "Das US Militär ist eine ziemlich große Organisation. Es hat die Ressourcen, sich auf das Südchinesische Meer zu konzentrieren, auch wenn die Aufmerksamkeit der Welt gerade woanders ist." 

Öffentliche Diplomatie

Dass der Territorialstreit wieder verstärkt in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, ist die Folge eines weiteren philippinischen Strategiewechsels. Im Januar machte Marcos Jr. den ehemaligen philippinischen General Eduardo Año zum nationalen Sicherheitsberater. Año entschied, die Ereignisse im Südchinesischen Meer publik zu machen. Seither sind Kameraleute an Bord der philippinischen Schiffe, um die philippinische Sicht der Dinge zu dokumentieren. "Die Philippinen nutzen Videos und öffentliche Diplomatie mit Absicht. Sie wollen die Schwierigkeiten, die sie mit China haben, deutlich machen."  Tatsächlich sind die Ereignisse der letzten Wochen und Monate nicht wirklich eine Eskalation. Derartige Schikanen und Streitigkeiten sind Alltag im Südchinesischen Meer. Neu ist, dass diese nun verstärkt in die Öffentlichkeit getragen werden.

2016 waren es ebenfalls die Philippinen, die die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer auf die internationale Nachrichtenagenda gebracht hatten. Damals hatten sie vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag ein Schlichtungsverfahren angestrengt, an dessen Ende der Schiedshof Chinas expansive Ansprüche im Südchinesischen Meer als ungerechtfertigt zurückwies. Er traf allerdings keine Entscheidung darüber, wer über welche Insel und welches Riff die Hoheitsrechte hat. China hat die rechtlich bindende Entscheidung ignoriert und als "null und nichtig" bezeichnet.

Die Strategie der Philippinen, sich gegen China zu wehren und das stärker in die Öffentlichkeit zu tragen, wird nach Überzeugung von Hayton aber nur unter folgenden Bedingungen Früchte tragen: "Ich denke, sie müssen den Konflikt mit der Region verbinden, ihn als südostasiatisches Problem zeichnen und ihn stärker mit dem internationalen Seerecht und der regelbasierten Ordnung insgesamt verbinden."  Der Konflikt müsse in seiner regionalen und globalen Dimension deutlich werden. Die philippinische Botschaft erklärte gegenüber der DW ebendiese Absicht: "Das Seerechtsübereinkommen und der Schiedsspruch zum Südchinesischen Meer von 2016 sind die beiden Eckpfeiler der Politik und des Handelns der Philippinen im Südchinesischen Meer."

Konflikt eigentlich lösbar

"Auf dem Papier ist es relativ leicht, die Konflikte zu lösen",  meint Hayton. Da alle historischen Ansprüche – egal ob von China, Vietnam oder den Philippinen – fragwürdig sind, sollte der Status Quo akzeptiert werden. Inseln, Riffe und Sandbänke, die heute von bestimmten Staaten besetzt sind, sollten besetzt bleiben. Fragen der Ressourcenausbeutung - wie Fischfang oder Öl- und Gasförderung - können im Rahmen des internationalen Seerechts, also der "United Nations Convention of the Law of the Sea" (UNCLOS), ausgehandelt werden.

Ein wesentlicher Hinderungsgrund, dass diese Lösungen nicht angegangen werden, ist, dass sich China, so Hayton, in dieses "unkluge historische Narrativ manövriert hat, dass China alles im Südchinesischen Meer gehört, obwohl viele Fakten dagegen sprechen." 

Dass China von seiner Position nicht abweicht, macht auch die Antwort auf die Interviewanfrage der DW an die chinesische Botschaft in Deutschland deutlich. Die Botschaft beantwortete keine der Fragen der DW und verwies stattdessen auf die Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums, wonach die Aktivitäten der Philippinen illegal seien. Der Sprecher sagte "Ich möchte betonen, dass Ren'ai Jiao (der chinesische Name für Second Thomas Shoal) zu Chinas Hoheitsgebiet gehört. Die Philippinen haben ihr Kriegsschiff in Ren'ai Jiao rechtswidrig 'auf Grund gesetzt'. Dies stellt eine schwere Verletzung der territorialen Souveränität Chinas dar." 

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Aussage gegen Aussage

Der Sprecher erklärte ferner: "Die Philippinen haben mehrfach ausdrücklich zugesagt, das in Ren'ai Jiao absichtlich und unrechtmäßig 'auf Grund gelaufene' Militärschiff abzuschleppen." 

Die vermeintliche Zusage der Philippinen das Riff zu räumen, ist eine neue Wendung im Konflikt. Ausgelöst hatte sie der philippinische Kolumnist Rigoberto Tiglao, der behauptete, der ehemalige Präsident Joseph Estrada hätte 1999 eine Räumung versprochen. Einen Beleg blieb der Kolumnist bisher schuldig, aber Präsident Marcos Jr. betonte: "Ich bin mir keiner solchen Vereinbarung oder eines solchen Abkommens bewusst, dass die Philippinen ihr Schiff, in diesem Fall die BRP Sierra Madre, von ihrem eigenen Territorium aus der Ayungin Shoal (der philippinische Name für das Second Thomas Shoal) entfernen werden", sagte Marcos. Er fügte noch hinzu, falls sie existiere, widerrufe er sie.

Wie so oft stehen im Südchinesischen Meer Aussage gegen Aussage, Anspruch gegen Anspruch.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia