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"Die Polizei lernt daraus"

Nicolas Martin7. Januar 2016

Die Täter aus Köln kommen nach bisherigen Erkenntnissen aus Nordafrika. Der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht über Machokulturen, Gewaltbereitschaft und warum die Silvesternacht wohl eher ein Einzelfall bleibt.

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Warnschild vor Taschendieben am Hauptbahnhof Köln - Foto: Wolfgang Rattay (Reuters)
Bild: Reuters/W. Rattay

Deutsche Welle: Die Vorfälle der Silvesternacht in Köln haben zu einer heftigen Debatte in Deutschland geführt. Bisher ist noch recht wenig über die Täter bekannt - außer dass sie in Gruppen aufgetreten sind, Frauen bedrängt und "überall angefasst haben" - so das Zitat eines Opfers. Herr Pfeiffer, welchen Schluss lässt dieses Auftreten der Täter über den kulturellen Hintergrund zu?

Christian Pfeiffer: Soweit die Polizei mitgeteilt hat, kommen die Täter aus Ländern, in denen eine Männerdominanz gelebt wird. Es braucht also eine Zeit, bis sie sich daran gewöhnt haben, dass das in Deutschland anders läuft - es braucht eine Integrationszeit.

Im Grunde genommen ist die Folgerung aus Köln nicht nur, dass wir polizeilich besser aufgestellt sein müssen, sondern auch dass wir ein gewisses Defizit haben, zivilisatorisch auf diese starke Zuwanderung aus Ländern einzuwirken, die eine Machokultur pflegen. Wenn dann Alkohol ins Spiel kommt und es so einen Gruppenzwang gibt, wie in der Silvesternacht, dann entstehen massive Konflikte, wie wir sie in Deutschland noch nicht gekannt haben.

Sie messen seit 1998 diese Machokultur zugezogener junger Männer. Wie gehen Sie da vor?

Es gibt eine Reihe von Fragen, die verraten, ob jemand ein Macho ist, oder ein aufgeklärter junger Mann, der weiß, dass sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft geändert hat. Beispielsweise: "Ein richtiger Mann schlägt zu, wenn er beleidigt wird." Die Befragten können dann uneingeschränkt zustimmen oder ablehnen.

Christian Pfeiffer - Foto: Ole Spata (dpa)
Kriminologe Christian PfeifferBild: picture-alliance/dpa/O. Spata

Wir hatten eine starke Einwanderung aus der Türkei und aus dem früheren Jugoslawien und aus Russland und wir haben gemessen, in welchem Ausmaß diese zugewanderten Gruppen diese Machokultur akzeptieren. Das war früher sehr ausgeprägt, aber 20 Jahre später sieht es völlig anders aus. All die genannten Gruppen haben sich gut integriert - ihre Gewaltraten sind drastisch rückläufig und wir können erfreut registrieren, dass da Integration gelungen ist. Und dass Machokulturen nicht mehr so gelebt werden wie früher. Weder in den Familien noch außerhalb.

Diese Aufgabe steht uns jetzt auch bevor mit dieser sehr großen Zahl von Menschen, die in den vergangenen Jahren aus arabischen und afrikanischen Ländern gekommen sind.

Wie häufig haben Sie diese Befragung von jungen Männern durchgeführt?

Mittlerweile haben wir mehr als 120.000 Jugendliche befragt. Auch die Mädchen dürfen ihn ausfüllen. Sie werden gefragt, ob sie diese Macho-Männlichkeit toll finden oder nicht. Die türkischen Mädchen, die russischen Mädchen und so weiter waren mehrheitlich nicht von Machos begeistert.

Auch innerfamiliär hat sich viel geändert. Früher wurden türkische Jugendliche auch noch deutlich häufiger von ihren Eltern geschlagen. Auch dass Männer ihre Frauen schlagen, ist weniger geworden. All diese Indikatoren zeigen: Die Familien sind friedlicher. Das ist eine gute Voraussetzung, dass Machokultur erst gar nicht entsteht.

Je länger die Menschen in Deutschland sind, desto geringer also die Machokultur?

Richtig. Und die Ausgangsbedingung ist die Bildungsintegration. Gymnasiasten sind wesentlich weniger machohaft als Hauptschüler. Wer etwas erreichen kann, der hat keinen Grund mehr, sich in Machoallüren zu vertiefen. In Hannover beispielsweise schaffen 85 Prozent der türkischen Jugendlichen das Abitur oder den Realschulabschluss - das ist der höchste Wert in Deutschland - und dort haben wir auch die niedrigste Machokultur.

Eine Frage lauter auch immer: "Gibt es Deutsche unter Deinen Freunden." Und wir sehen: Je höher die Anzahl der deutschen Freunde, desto niedriger die Machokultur und desto höher die Chancen, dass sie sich dann auch mit Deutschland identifizieren.

Also Integration ist machbar. Sehr erfreulich, dass das so gut gelaufen ist in den letzten 20 Jahren. Deshalb bin ich optimistisch, wenn die Kommunen Geld bekommen, wenn die Zivilgesellschaft mitspielt - und das macht sie zurzeit großartig - dass wir die Einwanderung der letzten Jahre und vor allem aus dem Jahr 2015 bewältigen.

Haben Sie denn nun die Befürchtung, dass solche Vorfälle wie in Köln nun erst mal häufiger vorkommen?

Ich hoffe nicht, und zwar aus drei Gründen! Erstens: Die Polizei lernt daraus. So eine Situation hatten wir noch nie. Da war die Polizei nicht vorbereitet, weil sie mit so etwas nicht gerechnet hatte. Die Polizei wird in Zukunft ganz anders und wachsamer aufgestellt sein.

Zweitens: Frauen werden weniger oft alleine unterwegs sein. Das ist eine Einschränkung ihrer Freiheit und bedauerlich, aber ich rechne damit, dass Frauen künftig abends eher in Gruppen unterwegs sind.

Drittens: Die Ausländer selber werden begreifen, dass die Polizei nun konsequenter vorgehen wird. Dann gibt es wegen Raub in Verbindung mit sexueller Nötigung oder gar eines Vergewaltigungsversuchs eine Gefängnisstrafe und anschließend die Ausweisung und das fürchten die Menschen am meisten. Sie sind ja gekommen, um hier Fuß fassen zu können.

Deshalb meine ich: Es ist unwahrscheinlich, dass sich so etwas wie in Köln wiederholt.

Christian Pfeiffer ist ehemaliger Direktor des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und war von 2000 bis 2003 für die SPD niedersächsischer Justizminister.

Das Interview führte Nicolas Martin.

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