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Politik

Die Baustellen des Flüchtlingskoordinators

Kay-Alexander Scholz
6. Oktober 2016

Seit einem Jahr ist Peter Altmaier Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Welche Aufgaben warten aktuell auf ihn? Und wo hakt es noch bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise?

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Berlin Kanzleramtsminister Peter Altmaier
Bild: picture-alliance/dpa/Revierfoto

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zog Angela Merkel die Zuständigkeit für das Thema zu sich ins Kanzleramt. Peter Altmaier, Chef ihres Bundeskanzleramts und offiziell auch "Minister für besondere Aufgaben", bekam genau das -  eine "besondere Aufgabe": Altmaier wurde Flüchtlingskoordinator. Der 58-Jährige gilt seit Jahren als ein treuer Merkel-Unterstützer, zudem bestens vernetzt und durchsetzungsstark. Von nun an sollte die Flüchtlingskrise einen festen Platz auf der Tagesordnung des am Mittwoch tagenden Bundeskabinetts bekommen. Ein wenig Unmut rief diese Personalie im Umfeld des Bundesinnenministers hervor, der sich bisher für die Asylpolitik federführend zuständig fühlte. Doch die Flüchtlingskrise gehe alle Ministerien an, so der Gedanke hinter Merkels Schritt.

Zu tun gab es genug. Das Außen- und das Entwicklungshilfeministerium sollten sich um Fluchtursachen kümmern. Das Arbeits- und das Bildungsministerium sollten Schritte vorbereiten, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Deutschkurse anzubieten. Das Innenministerium war bis über beide Ohren mit der Registrierung der Flüchtlinge und der Bearbeitung der Asylanträge beschäftigt. Die Lage ein Jahr danach: Die Flüchtlingszahlen gehen zurück, ein vernetztes System der Registrierung von Schutzsuchenden ist installiert, der Berg nicht erledigter Asylanträge ist überschaubar geworden, die Integrationsmaßnahmen in den Kommunen laufen an. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach in der Bundespressekonferenz von "großen Entwicklungen", der deutsche Staat habe auf allen Ebenen "Großes" geleistet. Woran auch der Flüchtlingskoordinator seinen Anteil habe, so Seibert. Einen Zeitplan könne er nicht nennen, wie lange ein solcher Koordinator noch nötig sei. Heißt auch: Die Flüchtlingskrise ist noch nicht beendet.

Tue Gutes und rede darüber

Aktuell warten mindestens drei große Aufgabenfelder auf Peter Altmaier, wenn es darum geht, die Maßnahmen auf nationaler Ebene zu koordinieren. Die erste Aufgabe besteht darin, die Kommunikation zu verbessern - und zwar gemäß der Vorgabe der Kanzlerin. Merkel hat nach dem Sommer als neue Marschrichtung ausgegeben, das Erreichte stärker als bisher in den Vordergrund zu rücken, um Vertrauen bei den Wählern zurückzugewinnen. "Wir sind sicher, die Umfragewerte werden besser werden", sagte Altmaier Ende September deshalb, "wenn die Menschen sehen und fühlen können, dass wir die Probleme im Griff haben."

Berlin Kabinettssitzung Gabriel, Merkel, Altmaier (Foto: dpa)
Peter Altmaier: Immer an der Seite der KanzlerinBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Diese Strategie soll die dauernde Frontalkritik der AfD, wonach Merkels Flüchtlingspolitik Deutschland dauerhaft ins Chaos gestürzt habe, bekämpfen. Noch verfängt diese Strategie allerdings nicht: Die Umfragewerte für Merkels CDU werden nicht besser, und der Höhenflug der AfD geht weiter.

Optimismus verbreiten

Die zweite große Baustelle hat ebenfalls viel mit kommunikativen Strategien zu tun. Die Flüchtlingszahlen sollen nicht wieder so hoch werden wie Ende 2015, als teilweise 200.000 Menschen pro Monat nach Deutschland kamen, heißt es gegenüber der Öffentlichkeit von Seiten der Bundesregierung. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte Merkel lange einen europäischen Weg präferiert, nämlich über ein EU-weites Verteilungssystem. Doch das wird - unter anderem wegen der ablehnenden Haltung der Osteuropäer - so schnell nicht kommen. Deshalb wird seit geraumer Zeit das Thema Bekämpfung von Fluchtursachen nach vorne geschoben - eine Aufgabe auch für den zuständigen Koordinator Altmaier. Flüchtlingen sollen sich - so der Grundgedanke dahinter - erst gar nicht auf den Weg nach Deutschland machen, weil sie eine Bleibeperspektive in ihrer Region bekommen. Jüngst war das so auch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller zu hören.

Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Professor an der Humboldt-Universität, führender Migrationsforscher in Deutschland, warnt allerdings davor, die Erfolgsaussichten dieses Ansatzes zu überschätzen. Deutschland könne nur schwerlich den Krieg in Syrien beenden, sagte Koopmans kürzlich bei einer Veranstaltung mit von der Leyen und Müller in Berlin. Die Versuche in Afghanistan, dem Irak oder Libyen, demokratische Verhältnisse herbeizuführen und die Lage unter Kontrolle zu kriegen, seien skeptisch zu bewerten. Der Westen müsse wohl etwas bescheidener auftreten, so Koopmans, wenn es darum gehe, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen. Doch für die Bundesregierung und damit auch für Altmaier bleibt dieser Ansatz zentral - mangels Alternativen.

Abschiebungen beschleunigen

Beim dritten Aufgabenfeld, wo Altmaiers Aufgabe nur darin bestehen kann, Druck zu machen, hat er sich bereits im Frühjahr deutlich geäußert. Altmaier appellierte damals an die Bundesländer, die Zahl der Abschiebungen zu verdoppeln. Aktuell leben in Deutschland Schätzungen zufolge rund 550.000 Personen, die eigentlich abgeschoben werden müssten. Für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber sind die Behörden vor Ort und nicht der Bund zuständig. Manche Länder wie Sachsen folgen inzwischen der Vorgabe, andere weniger. Doch es gibt auch gesellschaftliche Barrieren wie Hilfsorganisationen mit Anwälten und Ärzten, die gegen einen negativen Asylbescheid klagen oder gesundheitliche Atteste vorlegen, die eine Abschiebung verhindern. Das Thema gehört also zu den sprichwörtlich "dicken Brettern, die gebohrt werden müssen".

Hier besteht noch viel Handlungsbedarf, bei dem das Kanzleramt und die Bundesländer zusammenarbeiten müssen. Die Bundesländer sind auch gefragt, wenn es um die geplante Einstufung der Maghreb-Staaten im Bundesrat als "sichere Herkunftsstaaten" geht. Das wird derzeit noch blockiert. Noch viel zu tun also für Peter Altmaier, der wohl noch bis zur Bundestagswahl im September 2017 Flüchtlingskoordinator bleiben wird.

Autor: Kay-Alexander Scholz