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Offenes Zerwürfnis

Karl Zawadzky9. Juli 2003

Der Machtkampf in der traditionsreichen IG Metall geht weiter. Bedenklich für die 2,6 Millionen Mitglieder der weltweit größten Industriegewerkschaft. Aber auch für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt.

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Kontrahenten im Machtkampf:<br>Peters und ZwickelBild: AP

Über Jahrzehnte hinweg war die IG Metall einer der entscheidenden Motoren für den sozialen Fortschritt in diesem Land. Sie war an der Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt. Oft hat sie in den jährlichen Tarifrunden für die Einkommenssteigerungen der Arbeitnehmer das Signal gesetzt. Aber nicht nur das: Die IG Metall hat den Vorreiter gemacht bei der Verkürzung der Arbeitszeit und der Verlängerung des Urlaubs; sie war für die Politik ein wichtiger Gesprächspartner, wenn es um den Ausbau des Sozialstaats und die Zukunft der Industriegesellschaft ging. Ohne die verantwortungsvolle Mitwirkung der Gewerkschaften und dabei insbesondere der IG Metall gäbe es hier zu Lande nicht das hohe Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit für die breiten Arbeitnehmerschichten.

Unternehmer sorgen sich

Leider ist diese wichtige gesellschaftliche Kraft derzeit tief gespalten und durch einen ungelösten Konflikt an der Spitze des Gewerkschaftsvorstandes paralysiert. Selbst wenn auf dem Gewerkschaftstag im Oktober eine Lösung des Konfliktes gelingt, wird die Gewerkschaft noch lange Zeit damit beschäftigt sein, den leichtfertig angerichteten Scherbenhaufen zu beseitigen. Es ist bezeichnend für das Ausmaß des Desasters, dass sich mittlerweile bereits die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie um die Entwicklung bei ihrem Kontrahenten Sorgen machen. Diese Sorgen sind berechtigt, denn bereits seit Jahren wird die Gewerkschaftspolitik vom Richtungsstreit und von der ungelösten Führungsfrage überlagert.

Unschwer ist zu prognostizieren, dass die Konflikte in den kommenden Monaten noch zunehmen werden. Denn auch im zweiten Anlauf ist dem Vorstand der IG Metall die Aufarbeitung des desaströs verlorenen Streiks um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland ebenso misslungen wie die Beilegung des Machtkampfes zwischen dem Vorsitzenden Klaus Zwickel und seinem Stellvertreter und designierten Nachfolger Jürgen Peters.

Tradition kontra Fortschritt

Peters, obwohl im Vorstand zuständig für die Tarifpolitik, ist nicht bereit, die Verantwortung für die schwerste Niederlage der Gewerkschaft seit 50 Jahren zu übernehmen und von der Kandidatur zum ersten Vorsitzenden zurückzutreten. Er sieht sich als Opfer einer Intrige, die vom Gewerkschaftsvorsitzenden Zwickel ausgeht. Zwickel hält Peters nicht nur die Irreführung des Gewerkschaftsvorstandes vor, sondern ihn auch für ungeeignet, die größte Industriegewerkschaft in schwieriger Zeit zu führen.

Dabei geht es auch um persönliche Animositäten, im Kern aber um einen Richtungsstreit. Peters, der in der praktischen Gewerkschaftsarbeit sehr wohl zu unkonventionellen Lösungen und zur Kooperation mit den Arbeitgebern in der Lage ist, steht für die Traditionskompanie der Arbeiterbewegung. Seine markigen Parolen kommen bei vielen Mitgliedern in den Betrieben gut an, führen außerhalb der Gewerkschaft dagegen oft zu Entsetzen.

Bedrohter Flächentarif

Zwickel, der im Oktober aus Altersgründen den Vorsitz abgibt, sucht dagegen einen Nachfolger, der Modernität verkörpert. In der Tat kann die Gewerkschaft den Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft nicht aufhalten; sie muss versuchen, an seiner Gestaltung mitzuwirken. Mit den Antworten von gestern ist die Zukunft nicht zu gewinnen. Nötig ist - und dies nicht nur für die IG Metall - ein Spagat. Einerseits müssen Gewerkschaften wie bislang als Tarifmaschinen funktionieren, andererseits dürfen sie der Volkswirtschaft die Zukunftsfähigkeit nicht verbauen.

Das hat Konsequenzen für die praktische Gewerkschaftsarbeit. Der Flächentarif mit seinen einheitlichen Regelungen für ganze Branchen wird durch die zunehmende Differenzierung in Frage gestellt. Mit ihrer sturen Politik hat die IG Metall diese Entwicklung in letzter Zeit noch befördert, denn als Ergebnis des Streiks in Ostdeutschland gibt es dort nun mehr Firmentarifverträge als zuvor. Der Zentralismus der IG Metall war lange Zeit von Vorteil, heute ist er von Nachteil. Wenn die Gewerkschaft auf die neuen Herausforderungen weiterhin keine angemessene Antwort findet, droht ihr die Marginalisierung. Schwache und verletzbare Gewerkschaften sind unberechenbar. Insofern ist über die IG Metall hinaus wichtig, dass diese große Gewerkschaft ihren Richtungsstreit beilegt und sich mit einem Modernisierer an der Spitze an der Gestaltung des Strukturwandels beteiligt.