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Französischer Strafvollzug soll "menschlicher" werden

18. März 2009

Ein Gesetzentwurf der französischen Justizministerin soll die Lage in Frankreichs Gefängnissen verbessern. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass erneut eine wichtige Gelegenheit vertan werde.

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Blick durch Gefängnisgitter in den Innenhof eines französischen Strafvollzugsanstalt(DPA)
Strafvollzug im französischen Villefranche - kein Recht auf EinzelzellenBild: picture-alliance/ dpa

Das Modernisierungsgesetz sei ein Meilenstein in der Geschichte des französischen Strafvollzugs, lobt die Justizministerin Rachida Dati ihren Gesetzentwurf zum Auftakt der ersten Lesung im französischen Senat. "Dieses Gesetz führt unsere Gefängnisse ins 21. Jahrhundert", sagt sie. "Es bietet die Gelegenheit, unsere Gefängnispolitik von Grund auf zu erneuern und sie menschlicher zu gestalten."

Die derzeit dringlichsten Probleme in französischen Gefängnissen sind die chronische Überbelegung und die hohe Selbstmordrate. Besonders dramatisch ist die Situation in den so genannten "maisons d'arrêt" – in den Gefängnissen für Haftstrafen bis zu zwei Jahren. Dort werden Häftlinge häufig zu dritt oder zu viert in nur elf Quadratmeter große Zellen gepfercht. Das neue Strafvollzugsgesetz werde die Überbelegung deutlich senken, verspricht die Justizministerin.

Erst in fünf Jahren wirksam

Rachida Dati sitzt am Schreibtisch in ihrem Büro(29.09.2008/DPA)
Justizministerin Dati: "Gefängnis des 21. Jahrhunderts"Bild: picture-alliance/dpa

Das Gesetz ermöglicht vorzeitige Entlassungen bei Haftstrafen unter zwei Jahren. Die Ministerin setzt vor allem auf die elektronische Fußfessel, die eine strenge Überwachung des Verurteilten außerhalb des Gefängnisses erlaubt. Das Recht der Häftlinge auf Einzelzellen - wie es unter anderem Thomas Hammarberg, Menschenrechtskommissar des Europarates, angemahnt hat - wird im Gesetzentwurf als Prinzip anerkannt.

Wirksam soll es jedoch erst nach Ablauf eines Moratoriums von fünf Jahren werden. Man müsse schließlich realistisch bleiben, verteidigt Justizministerin Dati den Aufschub. "In Frankreich haben wir lange Zeit keine neuen Gefängnisse gebaut", erklärt sie. "Wir brauchen Zeit, bis alle Gefängnisneubauten, die wir seit 2007 auf den Weg gebracht haben, fertig gestellt sind und das Recht der Häftlinge auf Einzelzellen umsetzbar wird."

"Gesetzentwurf unzureichend"

"Das sind nur vage Absichtserklärungen", entgegnet François Baisse, Sprecher der 'Französischen Beobachtungsstelle für Gefängnisse' (OIP), der Ministerin. "Wieder wird das Recht auf eine Einzelzelle nicht verbindlich ins Gesetz geschrieben", bemängelt er. "Das ist jetzt schon das dritte Mal. Jedes Mal erklärt die jeweilige Regierung: 'Wir sind für Einzelzellen, aber erst in fünf Jahren'. Fünf Jahre später wird dann wieder verschoben."

Elektronische Fußfessel wird an einem männlichen Bein demonstriert(19.08.1999/dpa)
Elektronische Fußfesseln sollen eine strenge Überwachung ermöglichenBild: dpa

Zwar gebe es einige Fortschritte: zum Beispiel die verbesserte medizinische Versorgung der Häftlinge während der Nachtstunden und an Wochenenden, die künftig gesetzlich vorgeschrieben wird. Oder den seit langem geforderten freien Zugang zum Telefon, der den Verurteilten einen regelmäßigen Kontakt zu ihren Familien ermögliche. Aber der Gesetzentwurf sei insgesamt enttäuschend, meint auch der sozialistische Senator Robert Badinter, ehemaliger Justizminister unter François Mitterand.

"Der Gesetzentwurf der Regierung ist völlig unzureichend", sagt er. "Das Prinzip der Menschenrechte und deren Respekt sind unmissverständlich. Es wird höchste Zeit, dass diese Rechte gesetzlich garantiert werden." Und das sei im von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf nicht klar genug geschehen.

Willkürliche Strafmaßnahmen

Badinter kritisiert unter anderem die Regelung der so genannten "differenzierten Haftbedingungen". Sie gibt der Gefängnisdirektion das Recht, nach eigenem Ermessen über die Haftbedingungen der Verurteilten zu entscheiden. Häftlingen, die nach Einschätzung der Gefängnisverwaltung einen gefährlichen, aufsässigen oder schwerkontrollierbaren Charakter haben, können ohne jede juristische Kontrolle verschärfte Haftbedingungen auferlegt werden.

Eine Methode, die zunehmend auch bei psychisch kranken Häftlingen angewandt wird. Deren Zahl ist in französischen Gefängnissen in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Für große Unzufriedenheit sorgt auch die Regelung für die berüchtigten Disziplinierungszellen, in die gewalttätige Häftlinge zur Strafe eingeschlossen werden.

"Maximal ein Reförmchen"

Justizbeamter schließt eine Zellentür ab (20.10.2003/AP)
"Einschließen in Strafzelle treibt Leute in den Wahnsinn"Bild: AP

Der Gesetzentwurf sieht zwar vor, die zulässige Höchststrafe von 45 auf 30 Tage herunterzusetzen, doch das sei noch immer viel zu lang, meint Francois Baisse von der OIP. "Wir sind für die Abschaffung der Disziplinierungszellen. Es gibt andere wirksame Möglichkeiten, Häftlinge zu sanktionieren", sagt er. "Wenn man aber diese Methode beibehalten will, dann hätte man sich stärker an den europäischen Nachbarländern orientieren sollen." Dort seien drei, fünf oder acht Tage in der Strafzelle erlaubt, nicht mehr. "Dazu muss man wissen, dass in diesen Zellen die Selbstmordrate siebenmal höher ist, als im normalen Strafvollzug. Es ist ein Ort, der die Leute in den Wahnsinn treibt."

Noch ist das Gesetz für den Strafvollzug nicht verabschiedet, es steht noch die Lesung im Parlament an. Nachbesserungen sind möglich. Doch Frankreichs Menschenrechtsorganisationen sind pessimistisch: Respekt vor der Menschenwürde der Häftlinge, das Gefängnis als ein Ort der Resozialisierung - das seien und blieben zweitrangige Kriterien im französischen Strafvollzug. Die große Reform sei ein Reförmchen, es fehle der Regierung am politischen Willen, ist auch OIP-Sprecher Francois Baisse überzeugt. "Wenn sich überhaupt etwas tut", sagt er, "dann nur, weil Brüssel Druck macht."


Autorin: Margit Hillmann
Redaktion: Sandra Voglreiter