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In Frankreichs Gefängnissen herrschen unmenschliche Zustände.

Margit Hillmann28. Juni 2008

Menschenrechtsorganisationen beklagen die Bedingungen in französischen Haftanstalten. Marode Gebäude, mangelnde medizinische Versorgung und eine chronische Überbelegung, die jetzt einen neuen Rekordstand erreicht hat.

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Blick durch vergittertes Fenster auf blauen Himmel
Viele Gefängniszellen in Frankreich sind marodeBild: Flickr/joshstaiger

Vergangene Woche, während eines Radiointerviews: Frankreichs Justizministerin Rashida Dati wird gefragt, ob die miserablen Zustände in französischen Gefängnissen nicht eine Schande für die Republik seien. Die Ministerin reagiert gereizt. Die Franzosen seien immer zu selbstquälerisch und redeten sich klein, wenn es um ihr Land ginge, beklagte sie. "Natürlich", so Dati weiter, "es gibt Gefängnisse, die Frankreich keine Ehre machen. Aber das gilt doch nicht für alle Gefängnisse! Wir haben insgesamt 196 Haftanstalten." Probleme gebe es aber nur Gefängnissen, in denen Untersuchungshäftlinge säßen und solche Straftäter, die nur kurze Haftstrafen abbüßten.

Frankreichs Justizministerin Rachida Dati
Frankreichs Justizministerin Rachida DatiBild: AP

Die französische Justizministerin verschwieg geflissentlich, dass in den Gefängnissen für kurze Haftstrafen – den so genannten "maisons d’arrêts" - zwei Drittel der französischen Häftlinge sitzt. Hoffnungslos überfüllte Gefängnisse, in denen sich heute zum Teil schon zwei Häftlinge einen Platz teilen müssen. Pfercht die Regierung weiterhin Häftlinge rücksichtslos zusammen, könne sich die extrem angespannte Situation in unkontrollierbaren Gefängnismeutereien entladen, warnt Céline Verzeletti, Vorsitzende des CGT-Gewerkschaftszweig für Strafvollzug. Schon heute, so die Gewerkschafterin, könne das Personal die Sicherheit in überbelegten Haftanstalten nicht mehr garantieren. Der Gefängnisalltag werde immer unerträglicher: für die Häftlinge - aber auch für das dort arbeitende Personal.

Gefängniswärter haben Angst

"Wenn Sie 9-Quadratmeter-Zellen haben, belegt mit drei oder vier Häftlingen – da arten kleinste Zwischenfälle sofort aus", sagt Verzeletti. Wenn sich die Insassen nicht aufs Fernsehprogramm einigen könnten; oder einer wolle auf die Toilette gehen und stoße dabei gegen den Mithäftling, der aus Platzgründen auf einer Matratze am Boden schläft: "Die explodieren einfach! Und die Gefängniswärter sind permanent überfordert mit der vielen Arbeit, gereizt durch den Dauerstress mit den Häftlingen." Die Wärter fürchteten, die vielen Häftlinge nicht mehr kontrollieren zu können. Sie kämen morgens schon mit der Angst im Bauch zum Dienst und hofften, den Tag ohne größere Zwischenfälle zu überstehen.

Das Gefängnis von Villefranche
Das Gefängnis von VillefrancheBild: picture-alliance/ dpa

Französische Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Regierung für das systematische Herunterspielen der skandalösen Verhältnisse und die seit Jahren andauernde Tatenlosigkeit der verantwortlichen Politiker. Auch EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg beklagte während seines jüngsten Besuches Ende Mai in Paris die Lage: Trotz wiederholter Kritik habe sich in Frankreichs überfüllten Gefängnisse kaum etwas getan. Die Haftkonditionen seien unverändert unmenschlich und erniedrigend. Erst vor wenigen Tagen gruppierten sich Gefängniswärter in der Mittagspause vor Haftanstalten in ganz Frankreich. Das Personal, das kein Streikrecht hat, beschwerte sich in Flugblättern und auf Plakaten über unzumutbare Arbeitskonditionen und warnte vor der gefährlich explosiven Stimmung in den Haftanstalten, die jedes Mal mit der Sommerhitze zu eskalieren droht.

"Alternativstrafen sind die richtige Politik"

Die französische Justizministerin verweist Kritiker auf ihren gerade vorgelegten Gesetzesentwurf zum Strafvollzug. Darin seien konkrete Maßnahmen vorgesehen, um die Überbelegung französischer Gefängnisse in den Griff zu bekommen: Massive Investitionen in den Neubau von Haftanstalten und Alternativen zur Gefängnisstrafe, wie etwa das elektronische Armband für den Arrest zu Hause. Doch für Gewerkschafterin Verzeletti und ihre Kollegen ist das neue Strafvollzuggesetz der Justizministerin bestenfalls eine halbherzige Reform. Die Regierung setze ihre repressive Politik fort und fülle weiter die Gefängnisse, so Verzeletti. "Die Gefängniskapazitäten sollen zwar mit Neubauten bis 2012 um 13.000 Plätze aufgestockt werden.

Damit würden sie jedoch nicht mal den aktuellen Bedarf decken", beklagt die Gewerkschafterin, "geschweige denn die uralten, menschenunwürdigen Gefängnisse schließen können." Alternativstrafen und vorzeitige Haftentlassungen seien im Prinzip die richtige Politik. Aber sie machten nur Sinn, wenn vorzeitig entlassene Straftäter bei der Wohnungs- und Arbeitssuche von Sozialarbeitern unterstützt würden. Dass die Regierung die dafür nötigen Mittel wie angekündigt bereitstellen wird, bezweifelt Gewerkschafterin Verzeletti allerdings.