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Neue Gewalt in Venezuela

Steffen Leidel2. März 2004

Das Hickhack in Venezuela um das Abberufungs-Referendum von Präsident Chávez spitzt sich zu. Von der Opposition gesammelte Unterschriften sollen ungültig sein. Chávez freut es, die Opposition wittert Sabotage.

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Auch ein Kameramann wurde bei Protesten in Caracas verletztBild: AP

Venezuela bleibt ein tief gespaltenes Land. Eine Lösung für den Konflikt zwischen den Anhängern von Präsident Hugo Chávez und dessen erbitterten Gegner der Opposition ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Am Wochende gab es wieder gewaltsame Proteste. Mindestens vier Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Auslöser der Proteste war die Entscheidung des nationalen Wahlrats (CNE), die Petition der Opposition mit 3,4 Millionen Unterschriften, mit der sie ein Referendum über die Absetzung von Präsident Chávez durchsetzen will, noch einmal zu überprüfen. Am Montag (1.3.2004) hat der Wahrat die Entscheidung über eine Abwahl-Petition gegen Chávez zum zweiten Mal verschoben.

Wie bereits am Sonntag wurde der eintägige Aufschub auf Dienstag mit einem Klima der Gewalt begründet, das vor allem in Caracas herrsche. In der Hauptstadt kam es erneut zu Protesten gegen den Präsidenten, Polizei und Nationalgarde gingen zum Teil mit Gummigeschossen und Tränengas gegen mehrere 100 Demonstranten vor. Die Opposition hat zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams aufgerufen, bis die Petition für die Ansetzung eines Abwahl-Referendums anerkannt ist. Und so steht wieder einmal ein Versuch der Opposition, den linksnationalen Präsidenten aus dem Amt zu drängen, vor dem Scheitern.

Populist mit militärischem Diskurs

Demonstration für Huga Chavez in Venezuela
Demonstration für Hugo ChávezBild: AP

Damit will sich die Opposition nicht abfinden, weitere Auseinandersetzungen scheinen damit vorprogrammiert. "Die Lage hat sich weiter zugespitzt, wir erwarten, dass es bald zu einer Entscheidungssituation kommt", sagt Nikolaus Werz, Professor für vergleichende Regierungslehre an der Universität Rostock. "Chávez führt einen sehr militärischen Diskurs". Nach Ansicht von Werz will sich der populistische Präsident nicht aus dem Amt drängen lassen. Im April 2002 war ein Putschversuch der Opposition gescheitert, im vergangenen Jahr überstand Chávez einen Generalstreik. "Sein Ziel ist es, die repräsentative durch eine plebizitäre Demokratie zu ersetzen", sagt Susanne Gratius von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Den Zorn der Chávez-Gegner erregte die nationale Wahlbehörde. Sie will nach Angaben ihres Präsidenten Francisco Carrasquero nur 1,9 der insgesamt 3,4 Millionen Unterschriften anerkennen. Laut Verfassung sind für ein Amtsenthebungsreferendum rund 2,5 Millionen gültige Unterschriften erforderlich. Beim Ausfüllen der Unterschriftenlisten habe es Unregelmäßigkeiten gegeben, sagt die Wahlbehörde, die nach langem Hin und Her erst im August 2003 eingerichtet worden war. "Hier herrscht ein Kräfteverhältnis von drei zu zwei für Chávez", sagt Werz. Die Behörde bemängelt, dass als Unterzeichner auch Namen von Personen aufgeführt sind, die nicht eigenhändig unterschrieben hätten. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sowie das Jimmy Carter-Zentrum, die als Beobachter der Unterschriftenaktion fungierten, teilen allerdings die Bedenken der Wahlbehörde.

Sündenbock USA

Wie die venezolanische Zeitung "El Universal" schreibt, sollen zwischen dem 18. und 22. März etwa tausend Büros eingerichtet werden, in denen Bürger, deren Unterschrift als "zweifelhaft" gilt, erneut für ein Abberufungsreferendum gegen den linksnationalistischen Präsidenten unterschreiben könnten. Das Endergebnis werde dann zwei Tage später vorliegen und der Volksentscheid könnte anschließend innerhalb von 97 Tagen einberufen werden. Am Sonntag (29.2.) nutzte Chávez eine Großdemonstration in Caracas, um gegen den großen Gegner USA zu wettern. Die USA seien die treibende Kraft für die Versuche, ihn aus dem Amt zu verdrängen. "Venezuela ist aber nicht Haiti und Chávez ist nicht Aristide", sagte der Präsident. Er drohte der Bush-Administration, die Öllieferungen zu stoppen, sollte die US-Regierung intervenieren. Er warf Bush auch vor, den Putschversuch vom April 2002 unterstützt zu haben. Die US-Regierung hatte das wiederholt dementiert.

"Es ist ja kein Geheimnis, dass die Bush-Regierung gegen Chávez ist", sagt Werz. Für ihn sind die scharfen Worte gegen die USA aber vor allem ein Ablenkungsmanöver von hausgebackenen Problemen. "Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal", sagt auch die Lateinamerika-Expertin Susanne Gratius. Dafür sprechen auch die Fakten: In dem fünftgrößten Erdöl-Exporteur der Welt explodiert die Inflation, das Bruttoinlandsprodukt fällt, die Arbeitslosigkeit stieg auf über 14 Prozent. "Allerdings wäre eine Sturz von Chávez auch keine Lösung", sagt die Expertin. Chávez schlüpfe dann in die Rolle des Märtyrers und seine Anhänger stünden weiter zu ihm. Solange die Opposition und das Chávez-Lager nicht in einen Dialog treten, werde es keinen Frieden geben, glaubt Gratius.