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Politik

Mossul: Der Kampf um die Zukunft des Irak

20. April 2017

In Mossul rücken die Anti-IS-Kräfte immer weiter in die Stadt vor. Drei Viertel der Metropole sind bereits von den Dschihadisten befreit. Absehbar ist aber schon jetzt, dass es auch eine politische Initiative braucht.

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Irak Kämpfe um Mossul
Bild: picture-alliance/abaca/Y. Keles

Gefährlich sind vor allem die Drohnen. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) lasse beim Kampf um Mossul immer mehr der unbemannten Flieger in die Luft steigen, berichten Kämpfer der irakischen Armee. Ihre vom Boden aus operierenden Piloten ließen die Drohnen über die Reihen der Gegner schwirren, über denen sie dann ihre tödliche Sprengstofflast abwerfen würden. 

Inzwischen hat sich das irakische Militär auf die Bedrohung aus der Luft eingestellt, aber eine Gefahr sind die kleinen und darum schwer auszumachenden Drohnen noch immer – insbesondere im Straßenkampf, wenn die Soldaten keine Zeit hätten, neben dem Schlachtfeld auf dem Boden auch noch den Himmel darüber zu beobachten.

Die Schlacht um Mossul sei "die härteste und brutalste dieses Krieges", erklärt ein amerikanischer Offizier dem auf militärische Verteidigungstechnik spezialisierten Blatt Breaking Defense. "Und zugleich wohl auch der härteste und brutalste Nahkampf, den ich in 34 Dienstjahren erlebt habe."

Kampf gegen Selbstmordattentäter

Das liegt Berichten irakischer und amerikanischer Militärs zufolge auch an den vielen mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugen, mit denen Selbstmordattentäter des IS in die Reihen seiner Gegner zu dringen versucht. Inzwischen, berichtet Breaking Defense, sei das irakische Militär auf diese Gefahr besser eingestellt. In jeder Truppe befänden sich mit Granaten bewaffnete Soldaten, die die heranrasenden Wagen bereits im Vorfeld zu stoppen versuchen.

Irak Zerstörte Universität in Mossul
Erbe des Dschihadismus: die zerstörte Universität von MossulBild: picture-alliance/AP Photo/K. Mohammed

Auf jeder einmal eroberten Straße errichte man Erdwälle, um den Sprengstoff-Fahrzeugen keine Chance zu lassen. Das freilich sei noch kein Schutz gegen die Sprengstofffallen, die der IS zahlreich postiert habe - etwa in medizinischen Geräten kleiner, scheinbar aufgegebener Feldlazarette.

Die Herausforderung ist nicht nur eine militärische, sondern auch eine ethische. Moralische Katastrophen sind vorgezeichnet. So wie etwa jene vom 17. März, als das amerikanische Militär aus der Luft ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug beschoss. Die Explosion riss ein Haus nieder, in dem der IS viele Zivilisten als menschliche Schutzschilde zusammengetrieben hatte. Zweihundert Menschen starben.

Reaktionen der Zivilbevölkerung

Zwar sind drei Viertel des Stadtgebiets von Mossul inzwischen erobert. Die Anti-Is-Koalition stellt sich jedoch auf einen längeren Kampf ein. Das liegt zum einen daran, dass die IS-Kämpfer sich in der als besonders schwer zugänglichen Altstadt von Mossul verschanzt haben. Dort haben sie während der vergangenen zwei Jahre zahlreiche Verteidigungsanlagen errichtet. Der Einsatz gegen den IS wird für das Militär und die mit ihm verbundenen Milizen zu einem Kampf Haus für Haus. Die Härte dieses Kampfes hat auch dazu geführt, dass knapp eine halbe Millionen Zivilisten  inzwischen aus der Stadt geflohen sind.

Irak UNO: Fast eine halbe Million Zivilisten vor Militäroffensive auf Mossul geflohen
Auf der Flucht: Irakische Zivilisten verlassen MossulBild: Reuters/A. Matinez Casares

Verlangsamt werden die Vorstöße aber auch durch den Umstand, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung den IS weiterhin unterstützt. Die IS-Unterstützer begründen ihre Sympathien unter anderem mit der aus ihrer Sicht weiterhin zugunsten der iakischen Schiiten ausgelegten Politik der irakischen Regierung.

Andere würden durch die Angriffe des Militärs in die Arme des IS getrieben. Das irakische Heer und seine Verbündeten hätten in Mossul vermutlich hunderte, wenn nicht tausende Zivilisten getötet, zitiert das Magazin Breaking Defense einen sunnitischen Stammesführer aus der Stadt. Außerdem hätten schiitische Milizen zahlreich sunnitische Dörfer im Umland der Stadt in ihre Gewalt gebracht. "Wir fürchten, dass der Einsatz exzessiver Gewalt weiterhin hunderte oder gar tausende Menschen das Leben kostet", zitiert ihn Breaking Defense. "Das könnte zu Notlagen und einer Verbitterung führen, auf deren Grundlage die nächste Generation des IS oder sogar noch Schlimmeres entstehen könnte."

Politischer Prozess unverzichtbar 

Vom Beginn der Angriffe der Anti-IS-Koalition in Irak und Syrien im August 2014 bis zum Stichtag des 18. April 2017 geht die auf diesen Krieg spezialisierte Beobachtungsstelle Airwars von mindestens 8.500 bis zu 12.630 zu Schaden gekommenen Zivilisten in beiden Ländern aus. Zwischen 3.100 und 5.000 Zivilisten, schätzt Airwars, sind bei diesen Angriffen gestorben.

Um zu verhindern, dass sich Sunniten beider Länder angesichts dieser Zahl weiter mit dem IS verbünden, müsse es nun darauf ankommen, den militärischen Kampf durch einen politischen Prozess zu flankieren, erklären amerikanische Militärs.

Irak Christen kehren nach Qaraqosh zurück
Rückkehr der Vielfalt: christliches Leben in Qaraqosh, südlich von MossulBild: Reuters/M. Djurica

Eine Zukunft im Irak

Der militärische Sieg über den IS könne nur der Anfang sein, erklärt etwa der ehemalige US-General David Petraeus, der den sunnitischen Aufstand der Jahre 2007-2008 im Irak bekämpfte. Im Verlauf dieses Aufstandes verbündete sich die Bevölkerung mit der dschihadistischen Al-Kaida. "Alles hängt davon ab, ob wir jetzt politische Lösungen schaffen, die es vermeiden, dass Extremisten wieder einen fruchtbaren Boden vorfinden", erklärte Petraeus in einer E-Mail an Breaking Defense.

Nach Einschätzung des US-Kommandeurs Stephen Townsend bedeutet dies, den bislang bedrängten Sunniten eine Perspektive zu bieten, sie davon zu überzeugen, dass sie im Irak eine Zukunft hätten. Gelingt dies, wäre eine Befriedung des Iraks langfristig möglich. Scheitert sie, dürfte weiterhin mit Terror und Krieg zu rechnen sein.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika