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Mister "Big Bang"

6. Dezember 2001

Leszek Balcerowicz, Chef der polnischen Nationalbank, gilt als Vater des polnischen Wirtschaftswunders. Mit seiner harten Zinspolitik könnte er auch Vater des polnischen Euro-Beitritts werden.

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Leszek BalcerowiczBild: AP

Als langjähriger Finanzminister war Leszek Balcerowicz der herausragende Akteur der ökonomischen Transformation des Landes nach 1989. Polens Weg wurde trotz zahlreicher Schwierigkeiten als Vorbild für andere Staaten der Region gepriesen. Der ehrgeizige "Balcerowicz-Plan" stand am Anfang des rasanten Wandels von einer Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft. Wegen ihrer sozialen Auswirkungen war die harte finanzpolitische Linie von Balcerowicz in Polen nicht unumstritten.

Revolution statt Evolution

Der 1947 in Lipno bei Toruń geborene Wirtschaftswissenschaftler erhielt mit dem Ende der kommunistischen Herrschaft die Chance seines Lebens: Nachdem er jahrelang die Mängel der polnischen Planwirtschaft seziert hatte, durfte er seine Visionen von einem alternativen Wirtschaftssystem in die Tat umsetzen. Balcerowicz verordnete der polnischen Wirtschaft eine Radikalkur, von ihm selbst als "Big Bang" bezeichnet, von seinen Gegnern "Schocktherapie" genannt: Er privatisierte Banken und Telekommunikation und schränkte den Einfluss der Gewerkschaften auf die Politik ein. Balcerowicz glaubt an den radikalen Schnitt, nicht an die schrittweise Veränderung, wie er in seinem vielbeachteten Buch "Socialism, Capitalism, Transformation" darlegt.

Seit Anfang des Jahres 2001 ist Balcerowicz Präsident der Polnischen Nationalbank. Von 1989 bis 1991 und von 1997 bis 2000 war Balcerowicz Finanzminister und Vizepremier. Dazwischen hatte er einen Lehrstuhl an der Haupthandelschule inne und war Mitglied des Vorstandes von JP Morgan, einer großen amerikanischen Investmentbank. Balcerowicz beriet die Regierungen in anderen postkommunistischen Ländern, etwa in Russland, der Ukraine, Kirgisien, Litauen und Bulgarien. Für seine Verdienste wurde Leszek Balcerowicz mit dem renommierten Carl-Bertelsmann-Preis 2001 ausgezeichnet. Bereits 1992 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis und im Jahr 2000 den Friedrich-von-Hayek-Preis.

Kratzer im Lack der Zugmaschine

Bei den polnischen Parlamentswahlen im September 2001 erlitt die liberale Freiheitsunion (UW), der auch Leszek Balcerowicz angehört, eine empfindliche Niederlage. Sie fiel unter die Fünfprozenthürde und verpasste den Einzug in den Sejm, das polnische Parlament. Die neue Regierung unter der Führung des Demokratischen Linksbündnisses (SLD) will aber den Reform- und Sparkurs von Balcerowicz fortsetzen. Balcerowicz Partei hatte im Jahr 2000 die Regierungskoalition mit dem konservativen Bündnis Wahlaktion Solidarität (AWS) verlassen, weil der Finanzminister seinen Plan für Ausgabenkürzungen nicht durchsetzen konnte.

Im wirtschaftlich schwierigen Jahr 2001 hatte auch der Musterknabe Polen zu kämpfen. Für 2001 rechnen Experten nur mit einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent. Allerdings gelang es der Regierung, die Inflationsrate von elf Prozent im Vorjahr auf sechs Prozent zu senken. Als Notenbankchef spricht sich Balcerowicz weiter für eine strikte Zinspolitik und gegen höhere Staatsausgaben aus. Er gilt als Verfechter einer schnellen Annäherung an die EU. Der Beitritt Polens zur Europäischen Union und später zur Euro-Zone wäre die Krönung seiner Karriere. (jf)